Der neue Stern

Der Professor sprach: "Mathilde,
Schau, ein neuer Stern erschien
In des ,Perseus' lichtem Bilde,
Mit dem Fernrohr siehst du ihn.

Kleine Frau, kannst du's begreifen,
Wenn sein Glanz herüberglitt,
Daß er jene Nebelstreifen
Schon vor tausend Jahren schnitt?

Wo sich deinem Aug' entzündet
Heute seine Herrlichkeit,
Stand er, als sie Rom gegründet,
Und er irrt schon weltenweit.

Aber weil Millionen Meilen
Langsam nur sein Licht durchmißt,
Siehst du seinen Glanz verweilen,
Wo er längst geschieden ist.

Und so zeigt uns denn mitunter
Solch ein Stern von schöner Kraft,
Daß im Weltall voller Wunder
Wir und vieles mangelhaft."

Und das Köpfchen tief im Schatten,
Kaum vom läst'gen Wind gestört,
Hat sie dem gelehrten Gatten
Leise lächelnd zugehört.

Von der weißen Stirne streicht sie
Das zerzauste Haar zurück;
In den Himmel schau'nd vergleicht sie:
"Solcher Stern ist wie das Glück.

Durch des Weltraums Nebelwogen,
Durch der Sterne lachend Licht
Ist's vielleicht vorbeigeflogen,
Und ich Blinde ahnt' es nicht.

Und nach tausend, tausend Jahren
- Keine Liebe denket mein -
Glänzt, wo es vorbeigefahren,
Meinen Enkeln goldner Schein.

Und ins Licht der toten Freuden
Schaun sie staunenden Gesichts;
Und sie wissen's nicht zu deuten,
Und die Toren ahnen nichts.

Und sie wollen's nimmer lernen,
Daß wir still zu Grunde gehn
An der Sehnsucht nach den Sternen,
Die wir ahnen und nicht sehn.

An der Sehnsucht nach dem Scheine,
Der aus neuen Welten fließt
Und auf unsre Leichensteine
Seinen blassen Frieden gießt! ..."

Der Professor sprach voll Milde:
"Wunderlich ist solch Gefühl!
Und mir scheint, du schwärmst, Mathilde,
Aber komm, hier wird's zu kühl! ..."


  Rudolf Presber . 1868 - 1935

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