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Media in vita
162 Bücher



Rudolf Presber
Media in vita . 1. Auflage 1902



Das Pferdchen

Damals, ach! - die Ärzte kamen,
Fühlten Puls ihm und Gesicht,
Nannten viel gelehrte Namen,
Und mein Ohr verstand sie nicht.

Doch im Aug' gelehrter Toren
Las ich mehr als die Gefahr,
Las ich, daß mein Kind verloren
Und der Tag sein Würger war.

Daß die Stunde bald zum Scheiden
Schnarrend schlug die kleine Uhr -
Da bezwang ich meine Leiden,
Und ich tilgt' der Tränen Spur.

Durft' der wüsten Träume Kette
Noch ein einz'ges Mal zergehn,
Sollt' er still an seinem Bette
Seine Mutter lächeln sehn...

Und ich strich ihm glatt die Decken,
Leise, leise küßt' ich ihn;
Ohne Furcht und ohne Schrecken
Sollt' er mir hinüberflieh'n.

Und er hob sich aus den Kissen,
Und er hascht' mit Aug' und Hand,
Und ich sah ihn etwas missen,
Das er suchte und nicht fand.

"Ruhe, ruh, mein süßes Leben!" -
Und er sah mich bettelnd an:
"Willst du mir mein Pferdchen geben,
Mutter, daß ich's streicheln kann?"...
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
"Soll er einmal noch sich kräft'gen,
- Heut' ist schon der neunte Tag -
Gebt ihm nichts, was ihn beschäft'gen,
Nichts, was ihn erregen mag."

Also hat der Arzt gesprochen,
Eh' er wandte sich zu gehn...
Wild ans Mutterherz mir pochen
Fühlt' ich meines Kindes Flehn.

Und ich kann's nach Jahren heute,
Kann es nimmermehr bereun,
Daß ich vor der letzten Freude
Wagte nicht zurückzuscheu'n.

Daß mit heißem, stillem Danke
Für den Wunsch, der ihn noch hält,
Ich sein Pferdchen sucht' im Schranke,
Wo er's selbst noch eingestellt.

Und ich gab's und schaute bange,
Wie er's fiebernd griff und fest
An die feuchte, heiße Wange
Hielt das kleine Pferd gepreßt.

Stürmisch unter müden Rippen
Flog sein Herzchen... Fieberrot
Glüht die Stirn... Mit trocknen Lippen
Küßt er's leise - und war tot...

Unter schweren Blumenspenden
- Später hat man mir's erzählt -
Hab' aus seinen starren Händen
Mühsam ich's herausgeschält.

Und ich hielt's als letzte Beute,
Letzten Anker meiner Qual,
Als die Schar der schwarzen Leute
Mir mein Glück im Sarge stahl...

Jahre gingen - aus dem Schreine
Jeden Abend hol' ich mir's;
Und ich streichel' es und weine
Auf das Fell des garst'gen Tiers.

Und ich möcht's dem Spielzeug neiden,
Daß das wüste, kleine Ding
Seine letzten Zärtlichkeiten,
Seinen letzten Kuß empfing...

Ach, der Tröster Freundeszunge
Redet mir vergebens ein,
Daß er jetzt als großer Junge
Griechisch lernte und Latein;

Daß die Zeit der Kinderspiele
Längst verrauscht auf ernster Fahrt,
Und daß Sorgen viele, viele
Ihm und mir der Tod erspart.

Für mein Sehnen, für mein Lieben,
Das ihn Tag und Nacht umfing,
Ist er blond und klein geblieben,
Wie er damals von mir ging.

Und im blauen Himmelsgarten,
Wo die Sterne Blumen sind,
Träum' ich, müßt' er mich erwarten
Als mein einzig liebes Kind.

Wenn nach bangen Erdentagen
Er mir dort entgegentritt,
Ach, ich weiß, er wird mich fragen:
"Bringst du mir mein Pferdchen mit?"


  Rudolf Presber . 1868 - 1935






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Das Pferdchen, Rudolf Presber