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Gedichte, Lyrik, Poesie

Media in vita
162 Bücher



Rudolf Presber
Media in vita . 1. Auflage 1902



Auf der Dichtersuche

Ich wollte einen Dichter suchen.
Fünf Treppen stieg ich mit Keuchen und Fluchen.
Vor einem verblühten Geranienstock
Saß da in bekleckertem Sammetrock
Ein Mann mit absonderlichem Gebaren,
Mit Tintenfingern und langen Haaren.
Im Eck ein ungemachtes Bette,
Davor Pantoffeln, grün wie Spinat,
Für Cyklopenfüße passend grad.
Am Boden das Restchen der Zigarette
Noch dampfend und schwelend. Von unten nach oben
Schaut' er mit zwinkernden Äuglein mich an,
Beroch meine Karte und begann
Mit vollen Backen sich selber zu loben.
Er fragt, ob ich seine Werke gelesen.
Das letzte sei sehr bedeutend gewesen,
Er hätte bewiesen - Pagina drei -
Daß vor ihm keiner gewesen sei,
Der als rücksichtslos teutonischer Sänger
Das Draufgängertum der Stürmer und Dränger
Mit dem deutschen Gemüt durch der Verse Glätte
Versöhnt, vermählt und verschwistert hätte.

Ich hab' ihn redlich enttäuscht verlassen
Und irrte durch Märkte und Winkelgassen
Zum äußersten Westen. Man sagte mir,
Es wohne ein großer Dichter hier.
Ich trat voll Ehrfurcht in sein Zimmer,
Das war mit schweren Persern behängt;
Kaum hat sich ein goldner Frühlingsschimmer
Im Fensterwinkelchen durchgedrängt.
Sonst überall Nacht und tempeldunkel.
Nur dort in der Ecke ein irres Gefunkel
Von seiner Hand, mit Ringen bedeckt.
Dort lag er im Lehnstuhl ausgestreckt.
Zur Seite dem Kissengrab, dem bequemen,
Ein Strauß von welkenden Chrysanthemen.
Und über dem allen ein müder Geruch,
Wie aus eines Frühlings Leichentuch.
Der Dichter hatte infame Migräne,
Sie erbte - so sagt' er - vom Vater zum Sohn;
Doch las er mir lächelnd sein "Lied von der Träne"
In einem müden, näselnden Ton.
Im Nebenzimmer mit Katzenschritt
Ein überblondes Mädchen glitt,
Schlank, mager, wie eine der Barrison-Schwestern.
Er lächelte müd': "Meine Muse - seit gestern."
In ein Köppingglas von beträchtlicher Größe
Goß die Muse sich einen grünen Chartreuse.
Aus langen, gemalten Augenwimpern
Schickt sie trinkend zu mir einen heißen Blick ...
Ihr Dichter spricht von den Lebensstümpern,
Von Sphinx und Weib und Sterbensglück.
Und was einst Weise in Ehrfurcht nannten,
Das wird ihm ein Dreck und ein Haß und ein Hohn,
Und Schönheit und Wahrheit werden Trabanten
Nur seiner Gedanken und seiner Person ...

Und fröstelnd von all seinem Unkenrufen
Stieg ich feinadrige Marmorstufen
Mit kaltem Herzen und heißem Gesicht
Hinunter ins Leben, hinunter ins Licht.
Da war ein kleines Gärtchen am Haus,
Kirschbäumchen streckten die Äste daraus,
Und zwischen den Stämmchen saß im Sand
Ein kleiner Blondkopf mit Ringellöckchen,
Mit lachenden Augen und roten Bäckchen;
Und mit der kleinen emsigen Hand
Grub er sich Mauern und Wälle und Rinnen,
Steckt' kleine Fähnchen in den Wind,
Selig, dem Traum eine Form zu gewinnen -
Ich denke, es war des Pförtners Kind.
Was an Blüten der Mai ihm vom Baume geweht,
Das ordnet er mühsam zu weißem Beet.
Und von kleinen gebrochnen Syringenzweigen
Läßt er ein Wäldchen sich schattig neigen,
Umzäunt es mit Ranken von wildem Wein
Und setzt einen goldenen Käfer hinein.

Das alles wichtig nach Kinderart.
Und als er mich schauend und lächelnd gewahrt,
Da legt er bedächtig ans Grübchen des Kinns
Den sandgelben Finger und redet mich an:
"Der goldene Käfer, das ist ein Prinz,
Und eine Fee, die zaubern kann,
Die hat den armen Prinzen jetzt
Verwünscht und in dunklen Wald gesetzt.
Doch wenn er im Walde sich nicht verirrt
Und über die Hecken steigen wird,
Und über die Mauern und über die Zinnen,
Und wenn er im Schloß, im Schloß erst drinnen,
Dann wird der Käfer ein Königssohn,
Bekommt aufs Haupt eine goldne Kron'
Und herrscht mit tausend Rittern hier
Und ist auch der König von mir und dir!"

Und wie er so schwatzend vor mir stund,
Da hob ich ihn auf den lieben Kleinen,
Und wie er auch strampelt mit dicken Beinen,
Ich küßt' ihn herzhaft auf den Mund.
In der Kellertür stand müd' und bleich
Ein junges Weib und sah mit Staunen
Ihres Buben sandiges Königreich
Und eines Fremden zärtliche Launen.
Ängstlich, als ob sie mir wehren müßt',
Stand sie im Schatten der blühenden Bäume ...
"Laßt nur! Ich hab' einen Dichter geküßt,
Gott segne ihn und seine Träume!"


  Rudolf Presber . 1868 - 1935






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