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Und all' die Kränze ...
162 Bücher



Rudolf Presber
Und all' die Kränze ... . 1. Auflage 1911



Ketzergedanken

Aus der Kirche war ich gekommen,
Wo ich kein allzu häufiger Gast.
Hat mich unter den betenden Frommen
Recht ein Schauer der Reue erfaßt.
Herrlich durch die gemalten Scheiben
Fiel der liebe Sonnenschein:
Dort zu Kana das Hochzeitstreiben,
Und der Herr tritt lächelnd herein;
Dort am grünen Berg gelagert
Schlafend die Jünger auf moosigem Stein,
Leidensmüde und abgemagert
Wacht der betende Meister allein.
Ritter Georg auf wackerm Schimmel
Trabet goldig gerüstet ins Blau.
Gnädig winkt unsre liebe Frau - -
Unten der Pastor redet vom Himmel.

Und er kündet, nach Mühen und Plagen
Müßt' uns die Güte des Ew'gen befrein.
Über den Sternen in strahlenden Tagen
Würden wir zärtliche Brüder sein.
Würden durch goldne Pforten gehen
Über die Brücken am Firmament,
Alle und Alle wiedersehen,
Die einst die Not der Erde getrennt.
Ohne Gewänder um Schulter und Lenden
Schreiten wir rein im ewigen Licht,
Hätten uns brüderlich bei den Händen,
Sagte der Pastor, und haßten uns nicht.

Trefflich konnt' es der Gute beschreiben -
War es sein Wort, sein kindlicher Ton,
War es das Licht aus gemalten Scheiben?
Froh und getröstet ging ich davon.
Und ich hatt' zum Verzeihen und Lieben
Gar einen warmen, herzlichen Drang,
Als ich am alten Marktplatz drüben
Hoppla, auf die Elektrische sprang.

Grad' noch als Letzter. Die Fülle war drückend,
Ratsch - die Kurve brachte Gefahr;
Und mein Nachbar roch wenig entzückend,
Weil sein Frühstück ein Hering war.
Gegenüber zwei ältliche Damen
Stirnenfaltig und Scheitel glatt,
Die in zahnlose Mäuler nahmen
Alle junge Liebe der Stadt.
Und ein Jüngling mit vielen Blüten
Im erstaunlich blöden Gesicht,
Hielt in zwei dicken blauen Düten
Gegenstände von großem Gewicht.
Eine Jungfrau, die sich zierte,
Denn sie hielt sich für furchtbar nett,
Saß gegenüber und transpirierte
In dem schlecht gebauten Korsett.
In der Ecke 'ne dicke Schlampe
Puffte den rekelnden Brudersohn;
Und der Schaffner duftet nach Mampe ...
Und ich denk' an den Himmelsthron.
Soll ich unter Sternengewinden
Wirklich, wenn alles glückt und klappt,
Alle die Braven wiederfinden,
Die das Schicksal zusammengepappt?
Soll ich die Schlampe mitsamt dem Neffen
Und den heringduftenden Greis
Und die Jungfrau, der es so heiß,
Und die Basen dort wiedertreffen?
Soll ich auf sauberen Wolkengassen,
Wo sich die Schmerzen der Erde entwirr'n,
Wirklich den Schaffner am Händchen fassen
Und den Jüngling mit blühender Stirn?
Und geeint durch der Liebe Bänder
Tänzeln wir selig durch güldene Tür,
Und das alles ohne Gewänder,
Schön ist anders, ich kann nicht dafür!
Und ich denke, der Glaube ist heilig -
Himmel ist Himmel, mein Respekt;
Doch ich hab' es weiß Gott nicht eilig,
Freu' mich, wenn sich der Weg noch streckt.
Denn so schön auch die Englein geigen
Sicherlich oben im ewigen Licht -
Aus der Elektrischen kann ich steigen,
Aus dem Himmel kann ich es nicht.


  Rudolf Presber . 1868 - 1935






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