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Gedichte, Lyrik, Poesie

Dreiklang
162 Bücher



Rudolf Presber
Dreiklang . 1. Auflage 1904



Verhängnis

Ich wollte nach Jahren wieder einmal
Den Süden im Lenz durchstreifen,
Auf Bergen singen, im lachenden Tal
Orangenknospen greifen.

Und wie ich zur Isola Madre fuhr
Mit ihren sieben Terrassen,
Da saß in blütenberauschter Natur
Ein Pärchen in heißem Umfassen.

Sie hatte ihr Blondhaar hochgekämmt;
Frau Venus trug es nicht schwerer.
Er zeigte ein quastengeschmücktes Hemd
Und schien mir ein Oberlehrer.

Magnolien und Bädeker lagen im Schoß,
Der Seewind drehte die Blätter -
Da sahen sie auf und ließen sich los
Und sprachen voll Tiefsinn vom Wetter.

Mein Führer lachte leise; es war
Wie junger Hunde Winseln.
Ihn freute immer wieder solch Paar
Auf den Borromäischen Inseln.

Und als ich in Stresa zu Mittag aß
In Öl gebackene Fische,
Ei, sieh, das neckische Pärchen saß
Errötend mit mir zu Tische.

Sie hatte ihr Blondhaar hochgekämmt;
Frau Venus trug es nicht schwerer.
Er zeigte ein quastengeschmücktes Hemd
Und schien mir ein Oberlehrer.

Sie blickten ins Aug' sich nach Liebender Brauch
In heißer Herzenserregung;
Und leider blieben die Füße auch
In fortgesetzter Bewegung.

Sie taten sich süßes Geheimnis kund
Ins Ohr nach Liebender Weise;
Sie steckte ihm Mandeln in den Mund
Schon zwischen der Eierspeise.

Es schlugen heller aus Blick und Ton,
Vom Asti geschürt, die Flammen.
Ich aber schrumpfte vor Diskretion
Bescheidentlich in mich zusammen ...

Zwei Tage später am Comer See -
Ich löffelte grad' Makkaroni,
Die Tafel umflattert vom Blütenschnee
Der Villa Serbelloni,

Da fällt mein Blick - unselige Stund'! -
In einen Pfeilerspiegel;
Da drückt ein Pärchen Mund auf Mund
Sich just das Liebessiegel.

Sie hatte ihr Blondhaar hochgekämmt;
Frau Venus trug es nicht schwerer.
Er zeigte ein quastengeschmücktes Hemd
Und schien mir ein Oberlehrer.

Ich sah sie an. Sie sahen mich an.
Wir tauschten drohende Blicke.
Sie zischelten leise: "Was will der Mann
Schon wieder in unserem Glücke?

"Ist's ein Verschmähter mit Gift und Dolch?
Ist's ein Spion der Tanten?
Wir haben noch nie und niemals solch
Zudringlichem nahegestanden!"

Ich packte die Koffer am selbigen Tag
Und reiste via Lugano
Und war mit dem ersten Glockenschlag
Der Mitternacht in Milano.

Und früh am Morgen fand ich den Weg,
Den Durst nach Kunst zu letzen,
Zum altberühmten Jesuitenkolleg
Zur Brera mit ihren Schätzen.

Die bildreichen Säle durchwandelt' ich schnell
Bis zu frömmster Legende Erzählung,
Dem Sposalizzio des Raffael,
Der heil'gen Jungfrau Vermählung:

Die Luft so klar wie ein Tag im Mai
Um sonnigstes Liebesleben;
Und die Verschmähten stehen dabei
Mit ihren verdorrten Stäben;

Errötend im keuschen Mädchensinn
Die göttliche Frauenblüte;
Und zierlich die Begleiterin
Und Joseph voller Güte ...

Im Schauen stand ich, ergriffen und fromm,
Bußfertig eigener Fehle;
Da hört' ich leise ein deutsches "Komm!
Ach, Liebster, so voll sind die Säle."

"Hier aber sitzt nur ein einziger Mann
Und bohrt den Blick in die Leinwand.
O komm, daß ich hier dich küssen kann;
Der Herr da erhebt keinen Einwand."

Da wurde mein blutreiches Herz mir zu Eis,
Da bebt' ich in heimlichem Grimme;
Ich kannte den Lockruf, ich kannte die Weis',
Ich kannte den Ton und die Stimme.

Ich kannte so gut das goldene Haar,
Das reiche, hochgekämmte,
Und das violette Quastenpaar
Am deutschen Jägerhemde.

Leis stand ich auf und sprach kein Wort,
Ging ohne aufzusehen;
Ich wußt' es wohl, sonst wär' ein Mord,
Ein blutiger Mord geschehen.

Es hätte dann wohl an dieser Stell'
Nach Jahren und Monden und Wochen
Beim "Sposalizzio" des Raffael
So mancher Führer gesprochen:

"Dies Bild hat im Bädeker einen Stern
Und darum viele Verehrer.
Hier mordet' ein Dichter einst, meine Herrn,
Einen preußischen Oberlehrer ..."


  Rudolf Presber . 1868 - 1935






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