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Gedichte, Lyrik, Poesie

Dreiklang
162 Bücher



Rudolf Presber
Dreiklang . 1. Auflage 1904



Ein Roman

Damals! ich reist' in die Welt hinaus
Und ließ kein Glück verderben.
Da lernt' ich sie kennen im Affenhaus,
Im Affenhaus von Antwerpen.

Wie seltsam oft, was das Schicksal will!
Sie stand, ganz Liebreiz und Güte,
Am Käfig vor einem alten Mandrill
Mit der blauen Zuckertüte.

Sie hat ihm mit zärtlichem Schmeichelwort
Manch süßes Stückchen geboten,
Und grunzend riß ihr's das Scheusal fort
Mit seinen schwarzen Pfoten.

Und als er gierig die Finger gestreckt
Aus dem Käfig, doppelt vergittert,
Da hat das Papier mit dem süßen Konfekt
In dem reizenden Händchen gezittert.

Und als es streuend zur Erde rann,
Ich sammelte voll Intressen.
Wir gaben dem häßlichen Pavian
Den Rest gemeinsam zu fressen.

Ich sprach zu ihr, und sie sprach zu mir,
Der Wächter lächelte hämisch,
Und schadenfroh grunzte das tückische Tier -
Die Liebliche sprach nur Vlämisch.

Wir traten zusammen ins Freie hinaus,
In reinere Atmosphären.
Ich bot ihr den Arm am Giraffenhaus
Und küßte sie bei den Bären.

Die Störche standen auf einem Bein -
Mir kam ein süßes Ahnen;
Ich fühlte jauchzend: sie war mein! -
Schon bei den Pelikanen.

Und endlich sagt' sie mir, wer sie sei,
Und erlaubte, sie Abends zu holen -
Das war am Käfig des Dschiggetai,
Des Esels der Mongolen.

Und ich hab' sie geholt! ... O Gott, ich will's
In tausend Jahr'n nicht vergessen!
Wir tranken aufs Wohl des alten Mandrills
Und haben Täubchen gegessen.

Und pilgerten täglich - wochenlang -
Voll Dank das erhitzte Gemüte
Zum Käfig, wo der Pavian sprang,
Mit der strotzenden Zuckertüte ...
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
Das sind nun sieben Jahre her -
So manches brach in Scherben.
Da führte mich jüngst von ungefähr
Der Zufall nach Antwerpen.

Und als ich trat in das Affenhaus,
Da plötzlich - heiliger Vater! -
Vergessene Feuer brachen aus
Dem erloschenen Herzenskrater.

Der mürrische Wärter, wahrhaftig, er stand,
Wie einst, im Sommerkaki
Und kraute mit der runzligen Hand
Das Fell des Ohrenmaki.

Und auf des Schimpansen Schlummerbank
Lag warmer Sonnenschimmer;
Die Mungos quieksten; und es stank
Bei den Winselaffen, wie immer.

Und dort! - Kein Traum! ... Mein Herz stand still -
O, daß ich's nie erriete!
Wer war die Dame vor dem Mandrill
Mit der blauen Zuckertüte?

Wer war der Herr im Kastorhut
Mit der rotgetupften Krawatte,
Der ihr mit mühsam gedämpfter Glut
Viel zu vertrauen hatte?! ...

Klang nicht vor Jahren ein Briefchen aus:
"Nun werd' ich welken und sterben ..."?
O Menschenherz! O Affenhaus!
O selige Zeit von Antwerpen!


  Rudolf Presber . 1868 - 1935






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