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Rudolf Presber
Dreiklang
. 1. Auflage 1904
Ein Kirchlein steht in stillen Gassen ...
Ein Kirchlein steht in stillen Gassen,
Der Himmel drüber wolkenschwer.
Die Beter haben's längst verlassen,
Die ew'ge Lampe brennt nicht mehr.
Die hat der Sturm wohl ausgeblasen -
Im Giebel kreischt der Dohlen Schar.
Die Priester, die hier Messen lasen,
Die schlummern hinterm Hochaltar.
Wenn aus der Frühe Nebelwogen
Der Sonne Segen siegreich quillt,
Fällt durch die got'schen Fensterbogen
Ihr Licht auf ein Madonnenbild;
Umflammt das Herz der Wundersüßen,
Webt ihrem Haupt den goldnen Schein;
Und abgewetzt zu ihren Füßen
Von frommen Küssen glänzt der Stein.
Dann ist's mit einem Mal, als rege
Sich längst vergeßner Glocken Erz,
Und die Gebenedeite lege
Die schlanken Hände fest aufs Herz;
Auf dieses Herz so voller Gnaden
Und doch so aller Hoffnung bar,
Da von den Menschen sie verraten
Und von dem Sohn verlassen war.
Ich weiß ein Bild aus toten Tagen
Im Tempel meiner Seele stehn,
Und meiner Sünden Blicke wagen
Nur selten zu ihm aufzusehn;
Doch hat mich alle Welt verlassen,
Und fallen mich die Sorgen an,
Des Kirchleins in den stillen Gassen
Und seines Bildes denk' ich dann ...
Rudolf
Presber . 1868 - 1935
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