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Dreiklang
162 Bücher



Rudolf Presber
Dreiklang . 1. Auflage 1904



Die Zauberin

Ich lernte viel, und in verschwieg'ner Brust
Trug ich so stolz zu dem, was ich gewußt,
Alltäglich was der Stunde Lust und Not
Zu lernen meinen offnen Augen bot.
Und wie ein Geizhals überzählt' ich dann,
Was ich gesammelt. Ruhelos begann
Der Morgen mir, vom jungen Licht geblendet,
Wie mir der Abend ruhelos geendet.

Doch unter all den Schätzen, die da lagen,
Gehäuft in heißen, mühevollen Tagen,
Schien mir das höchste Kleinod noch zu fehlen.
Doch wo ich's sollte suchen, graben, stehlen,
Wo ich das Köstlichste und Letzte finde,
Das all das andre adle und verbinde,
Das jedem Stück in dem gehäuften Schatz
Die rechte Wirkung geb' am rechten Platz -
Ich ahnt' es nicht. Und kaum, daß noch mich stärkte
Die Hoffnung, eilt' ich durch die lauten Märkte,
Sah, was das Leben prunkend ausgeboten,
Durchforschte furchtlos finstre Gruft der Toten,
Belauschte listig Weise, Toren, Schwärmer -
Und ward im Suchen ärmer, immer ärmer.

Doch da geschah es, daß ich gramverdrossen
Noch einmal die Gewölbe aufgeschlossen,
In denen öde, glanzlos und verstaubt,
Gespeichert lag, was ich so reich geglaubt.
Ein grober Wust lag's stumpf im fahlen Schein...
Doch hinter mir schlüpft' leis ein Weib herein.
Von ihrem Haupte ging ein Leuchten aus,
Das füllt mit sanftem Schimmer rings das Haus;
Und wo sie rührt der Truhen grobe Wände
Mit flücht'gem Schmeichelgriff der schlanken Hände,
Da springen alle Schlösser; Edelsteine
Erglänzen rein in nie geseh'nem Scheine;
Aus Bild und Schrift an alten Sarkophagen
Erblüht ein Gruß aus heitern Griechentagen;
Und vom Gesimse Helm und Krüge sprechen
Mir von der Väter Mahl und Lanzenstechen;
Und unter'm Band an rost'gem Degenknauf
Glüht eines fernen Maien Rose auf
Und haucht ins Herz mit heißer Frühlingskraft
Das Märchen längst verlohter Leidenschaft.

Ich aber sink' aufs Knie: "Die ich erschau'
Zum erstenmal, wer bist du, hohe Frau?
Du gibst dem toten Plunder Glanz und Sinn,
Du unerforschlich große Zauberin.
Wie soll mein Dank dich, Herrlichste, benennen?
O gib dich dem Beschenkten zu erkennen!"

Ein liebes Lächeln webt in ihren Zügen.
Sie spricht: "O Freund, ich will dich nicht betrügen.
Zwar mächtig wohl, kann ich dir nimmer bringen
Die heil'gen Schlüssel zu den letzten Dingen.
Von dem was waltet über allem Leben,
Kann ich dir nur ein freundlich Gleichnis geben,
Indem ich froh in meine Strahlenhelle
Dich selbst, den Weg und deine Ziele stelle.
Und was du magst in Lebensängsten brauchen,
Ich will es dir in meine Farben tauchen.
Ich will dir Kleines baden in Entzücken;
Will dir das Große in die Weiten rücken,
Daß stolz, bis all dein Erdenschmerz verbüßt,
Dich's mit den Feuern ferner Firne grüßt.
Dann werden dir die Gräber Antwort geben,
Die Sterne singen, und du lebst dein Leben;
Die Sorge selbst trägt ihren Freudenrest.
Aus rauhem Alltag blüht dir Fest um Fest;
Daß, was dein armes Hirn hier nie begreift,
Dich wie ein Duft und Gruß der Himmel streift,
Und alle Form erhalte Glanz und Sinn
Von mir allein, weil ich die Schönheit bin!"


  Rudolf Presber . 1868 - 1935






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Die Zauberin, Rudolf Presber