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Rudolf Presber
Dreiklang
. 1. Auflage 1904
Der kommende Mann
Du fragst mich, ob ich ihn gesehen?
Du fragst mich, wie er mir gefällt?
Ich sah ihn dort am Flügel stehen:
Ein Künstler und ein Herr der Welt.
Die Frauen drängen sich in Scharen,
Weil er ein holder Träumer ist.
Ich weiß, ich weiß: mit sieben Jahren
Ward er vom greisen Liszt geküßt.
Wenn freilich alle, die der küßte - -
Pardon. Na ja. Ich bin schon still
Und schwöre, daß ich seine Büste
Demnächst bei dir bekränzen will.
Ob es die Neider auch verschrieen,
Ich schätze solches Menschenkind,
Dess' Tage voll von Melodieen,
Und dessen Nächte liebreich sind.
Auch diesem Jüngling, der die Rose
So anmutvoll im Smoking trägt,
Verzeih' ich die geniale Pose,
Die er sich mühsam zugelegt;
Verzeih' ich, daß auf flinker Töne
Verweg'ner Leiter er bestimmt
Das Kammerfenster mancher Schöne
Und nächstens auch - das deine nimmt.
Er wird die Neigung bald erwidern,
Die schon crescendo dich beschlich.
Es liegt Musik in deinen Gliedern -
Wer weiß das besser wohl, als ich.
Halb schon entflammt, halb noch erschrocken,
Bohrt er sein dunkles Aug' in deins,
Der Jüngling mit den Chopinlocken
Und mit der Nase Rubinsteins.
Und wenn des Frühlings Kinder sprießen,
Gestehst du's glühenden Gesichts ...
Ich kann vielleicht Pistolen schießen
Besser, wie er - doch fürchte nichts!
Du warst mir treu schon, meine Süße,
Drei Monde, einen Himmel wert.
Sieh nur, wie ich hinüber grüße
Zu ihm, der Liszt das Knie beschwert.
Und wirfst du bald mich zu den Toten,
Ich bleib' dem Jüngling wohlgeneigt -
So grüßt ein König den Nepoten,
Der morgen seinen Thron besteigt.
Rudolf
Presber . 1868 - 1935
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