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Rudolf Presber
Dreiklang
. 1. Auflage 1904
Der Hypochonder
Einst war ich wohl ein blonder
Verwegener Student -
Heut bin ich ein Hypochonder,
Der alle Leiden kennt.
Einst lachten die braunen Mädel,
Wenn ich um Ecken bog,
Und tief vom "verhauenen" Schädel
Die grüne Mütze zog.
Einst zecht' ich durch mit Braven,
Solang der Mond regiert -
Heut' geh' ich zeitig schlafen
Und werde frühmorgens massiert.
Ich lebe wie ein Mucker,
Jed' Schnäpschen wird gebucht,
Und dies und das auf Zucker
Quartaliter untersucht ...
Ich geh' nicht mehr zu Biere
Doch häufig in den Dom,
Und spür' einer Wanderniere
Abscheuliches Symptom.
In seelischer Ermattung
Fühl' ich mich stumpf und dumm,
Der "Verein für Feuerbestattung"
Keilt schon an mir herum.
Ich warte - und zwar mit Begründung -
Auf meinen demnächstigen Tod
Und weiß, daß Lungenentzündung
Mich ganz besonders bedroht.
Und gibt die Angst mal Ferien,
Dann schreckt mich ganz gewiß
Verkalkung der Arterien
Oder ein Schlangenbiß.
Ich mache Sterbensgedichte
Und schau' in den Spiegel genug,
Und suche in meinem Gesichte
Den hippokratischen Zug.
Geh' ich, wo Mädels wohnen,
Am blühenden Gartenhaus,
Heißt's jetzt: "Sie sollten sich schonen,
Sie sehen so leidend aus."
Als ob sie den Sarg schon verlöten,
So seufzen sie bang und schwer -
Ich glaube, die kleinen Kröten
Lachen hinter mir her!
Und doch! verschiedene Knackse
Sind ganz gewißlich mein -
Man kann in der Prophylaxe
Niemals zu sorgsam sein!
Doch wie ich mich hüt' und beschütze,
Spielt mir das dreifarbige Band,
Spielt mir die Burschenmütze
Der Zufall in die Hand,
Dann stülp' ich den Hut auf die Krone
Und fahre zu ihr, zu ihr ...
Sie wirkt jetzt als Matrone
Am Paulsplatz hundertundvier.
Sie verkauft Krawatten und Kragen
Im Lädchen bald dreißig Jahr -
Doch sollt' mich einer fragen,
Wie reizend die Kleine einst war!
Sie legt den Strumpf zur Seite,
An dem sie just gestrickt,
Und strahlt vor heller Freude,
Sobald sie mich erblickt.
Dann plaudern wir voll Vergnügen
Von Liebesbrief und Vers,
Von Festen und Fackelzügen,
Mensuren und Kommers;
Vom Onkel auch, dem fatalen,
Der uns mal abgeklappt,
Und wie wir dazumalen
Uns doch so lieb gehabt! ...
Sie findet mich unverändert,
Wie einst, als ich im Drang
Der Jugend, buntbebändert,
Das Gaudeamus sang.
Sie weiß noch lateinische Brocken,
Das Wappen auf meinem Krug,
Und daß ich braunseidene Socken
Mit grünem Börtchen trug.
Die filia hospitalis
(Noch ärgert sie's!) hat mich gepflegt,
Als mir durch die Temporalis
Eine Schwabe die Quart gefegt ...
Und wenn wir vom Plaudern ermatten,
Scheid' ich als Tugendgreis
Und kaufe noch drei Krawatten
Von ihr zum Freundschaftspreis:
Gelb, wie das Gold der Garben,
Und grün und blau dabei - -
Wir beide kennen die Farben
Aus sonnigem Jugendmai!
Wie leuchten sie uns erfreulich,
Wie lieb der Dreiklang spricht -
Genau besehn, sind sie abscheulich;
Und tragen kann ich sie nicht ...
Rudolf
Presber . 1868 - 1935
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