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 162 Bücher
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 Rudolf Presber
 Dreiklang
. 1. Auflage 1904
 
 
 
 
 
Begnadigung Der liebe Gott saß auf himmlischem Thron,Schon dreimal hatten Posaunen gerufen.
 Zur Rechten in purpurnen Kleidern der Sohn
 Und Petrus an den goldenen Stufen.
 Und vor dem Richter, vom Glanze geblendet,
 Ein Mensch im wallenden Hermelin,
 Das greise Haupt mit der Krone gewendet,
 Die Angst um die Lippen, zu Petrus hin.
 
 Der fragte nach Sünden und Seligkeit
 Und nach den heiligen Glaubenslehren;
 Und stammelnd wußte das Kind der Zeit
 Auswendig das Buch, das alle verehren.
 "Was aber weißt du von Menschennöten,
 Was hast du gelitten und leiden sehn?"
 So fragte der Herr. Und mit heißem Erröten
 "Nichts weiß ich," mußte der Alte gestehn.
 
 Da griff der Herr nach dem goldenen Blitz:
 "Was willst du dich hier im Prunke spreizen?"
 Tief unten befahl schon auf schwefligem Sitz
 Der Teufel den Knechten die Hölle zu heizen.
 Da neigt' sich St. Peter am Fuße der Treppe,
 Mitleidig sah er das Menschlein an,
 Und küssend in Demut die Wolkenschleppe
 Des Herrn der Welt er zu reden begann:
 
 "O Einzigeiner, der Examinand
 Hat brav die heiligen Bücher gelesen;
 Und wenn er den Jammer der Welt nicht erkannt,
 Verzeih's ihm, er ist ja ein Fürst gewesen.
 Ihn hat die lachende Lüge geschaukelt,
 Schon als er in linnenen Windeln schlief;
 Ihn hat ein Traum der Größe umgaukelt,
 Schon als er noch hinter den Spatzen lief."
 
 "Er sah die Erde im Feierkleid
 Auf seinen lustigen Fahrten und Zügen.
 Sie haben ihm auf das Menschenleid
 Ein Rauschgold geschüttet von flimmernden Lügen.
 Von Schmutz und Alter die Risse und Krusten,
 Die wurden vom Firlefanz überglänzt;
 Und Häuser, die morgen schon stürzen mußten,
 Die haben sie heute ihm noch bekränzt."
 
 "Es fehlten festliche Mädchen nie,
 Noch Rosen und Bänder auf seinen Straßen;
 Wo Elend weinte und Hunger schrie,
 Da haben sie lauter noch Tusch geblasen.
 Er spürt' nicht die Schrammen und Schwielen und Ketten,
 Die tausend Verzagende wund gedrückt,
 Er sah selbst den Tod nur auf goldenen Betten
 Und lieblich, als wie zum Tanze geschmückt."
 
 "Und während Lakaien, gesalbt und fett,
 Sein Sterbliches dort in die Grube schütten,
 Den Fischer vom See Genezareth
 Laß für den entthronten Gewaltigen bitten.
 Der zitternden Hand ist das Zepter entwunden.
 Es fiel ihm der goldene Reif aus dem Haar;
 Verzeih's ihm, Allgütiger, daß er da unten
 Ein ewig Getäuschter, ein König war." ...
 
 
 Rudolf
Presber . 1868 - 1935
 
 
 
 
 
 
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