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Rudolf Presber
Aus
zwei Seelen . 1. Auflage 1914
Siehst du dort die wunderschöne Frau -?
Siehst du dort die wunderschöne Frau,
Der die Haare blond im Nacken wallen,
Die umschwärmt, umflirtet steht von allen?
Ihrer Augen unerhörtes Blau
Schimmert hell wie nur am Frühlingstage
Der Ceresio unterm Ruderschlage.
Und ihr Lachen reinste Melodie,
Und ihr Schreiten wie ein Tanz der Elfen?
"Ja, geliebter Freund, ich sehe sie,
Und ich wollt', ein Zauber könnt' mir helfen,
Daß ich einmal - ohne Ring und Schwur -
Ihr den kirschenroten Mund berühre!"
Freund, ich sagt' dir gern was, wenn ich wüßt',
Daß du schweigen kannst. "Bei meinem Leben!"
Nun dann hör': ich habe sie geküßt
Zweimal auf den Mund und auch daneben
In das Grübchen, das so unbedacht
Kommt und schwindet, wenn die Holde lacht.
"Neid, gesteh' ich, wecken deine Worte;
Doch mir scheint, die süße kleine Maus
Suchte sich zu zärtlichem Rapporte
Leider einen Indiskreten aus,
Der sich wert nicht ihrer Gunst gezeigt -
Denn ein Gentleman, der küßt und schweigt!"
Halt, Verehrt'ster, eh' du mir den Rücken
Kehrst, vernimm noch dieses: mein Entzücken
Ob der Küsse war nur recht gering.
"Schamlos sprichst du. Wer ein Weib umfing,
Hat sich nimmermehr in fremden Häusern
Kritisch über den Genuß zu äußern!"
Wahr, sehr wahr! Indes, du mußt erfahren,
Jener Kuß geschah - vor zwanzig Jahren.
Ihre Mutter nahm sie aus dem Wagen,
Und ich hab' das Balg herumgetragen.
Ein Geschrei vollführt es und Gestrampel,
Und ich tröstet' es, ich guter Hampel.
Schließlich küßt' ich gar das exaltierte
Baby, was es endlich dann kalmierte.
Ja, es lacht', soweit ein Kind das kann,
Plötzlich etwas malitiös mich an.
Als es wieder lag in seinem Kissen,
Konnt' ich grad' noch ein paar Phrasen drechseln
Für die Mutter, höflichkeitsbeflissen -
Und dann mußt' ich meine Weste wechseln.
Rudolf
Presber . 1868 - 1935
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