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Rudolf Presber
Aus
zwei Seelen . 1. Auflage 1914
Oscula
Nein, ich halt' nicht mehr so viel
Von dem Kuß wie früh'r in Jahren.
Scheint mir bloß ein Tändelspiel
Und nicht frei von Kriegsgefahren.
Von Bazillen red' ich nicht,
Die von warmen Lippen tanzen,
Wenn sich zweie ins Gesicht
Heiß der Liebe Siegel pflanzen.
Kennt ihr nicht das kecke Lied,
Das für Roms vernarrte Jungen
Der verstorbene Ovid
Schon vor tausend Jahr'n gesungen:
Et qui sumpsit oscula
Sumet mox et caetera!
Wenn das arme Wort erschöpft,
Sollen Lippen schweigend küssen.
Die Vernunft wird dann geköpft
Und begraben werden müssen.
Wird ein holdes Kind betört,
Wonnekeuchend Mund auf Munde,
Fühlst du's: wann sie dir gehört,
Ist 'ne Frage nur der Stunde.
Kannst du kein Latein, mein Sohn,
Mußt auf Ciceron'n verzichten,
So viel römisch fühlst du schon,
Um den Spruch dir nachzudichten:
Et qui sumpsit oscula
Sumet mox et caetera!
Und was ich erwähnen muß:
Liebe weiß zu überlisten;
Als Verlöbnis wird der Kuß
Aufgefaßt oft von Juristen.
Sieh', du glaubst dich willensfrei,
Küssend in der Laube Frieden,
Und du bist doch schon dabei,
Letzte Ketten dir zu schmieden.
Heute nimmt sie deinen Mund,
Diese holdste aller Damen,
Morgen deinen Ring schon und
Deine Hand und deinen Namen. -
Et quae sumpsit oscula
Sumet mox et caetera!
Rudolf
Presber . 1868 - 1935
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