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Gedichte, Lyrik, Poesie

Aus zwei Seelen
162 Bücher



Rudolf Presber
Aus zwei Seelen . 1. Auflage 1914



Das Lenzgedicht

Ich hatte zu des Lenzes Lob
Ein fröhlich Lied beschlossen;
Und wie ich die ersten Reime wob,
Ist draußen der Regen geflossen.

Verwaschen ist Garten, Beet und Pfad
Und - macht das die Lyrik beredter? -
Es schwankt zwischen Null und einem Grad
Im Glase das Thermometer.

Da hatt' ich das Frühlingbedichten satt,
Das gegenstandlose Gekritzel;
Da riß ich in Stücke das törichte Blatt
Und warf aus dem Fenster die Schnitzel...

Und sieh, ein Strählchen Sonne schlich
Durch graues Gewölk sich herunter.
Im Garten die Spatzen, die zankten sich;
Ein Pärchen war darunter.

Die Spätzin - klüger natürlich wie er -
Sah flattern meine Papierchen;
Und eilends machte sich hinterher
Piepsend das schlanke Tierchen.

Sie griff so ein Fetzchen und flog zum Ast
(Ich folgte mit spähenden Blicken)
Und hat es dem Nestchen eingepaßt,
Ein kleines Rißchen zu flicken.

So trug sie behutsam Blatt um Blatt
Hinauf und baute nach Kräften.
Und sieh, auch das würdige Männchen hat
Beteiligt sich an den Geschäften.

Nun weiß ich die Spur meines Lenzgedichts
Vor Spötteraugen behütet.
Wie bald im Golde des Frühlingslichts
Wird es mit Eifer bebrütet!

Nun klebt es, dem Nachwuchs förderlich,
Hoch über Blumen und Häusern -
Und kleine Spatzen werden sich
Kritisch darüber äußern.


  Rudolf Presber . 1868 - 1935






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