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Alfons Petzold
Totentanz
. 1. Auflage 1923
Totentanz
Erlahmen uns die Hände vom Gebet?
Sind wir schon blind vom sorgenvollen Wachen?
Hat uns die Qual die Lippen zugenäht?
Verzerrt nicht mehr den Mund grämliches Lachen?
Da diese Zeit auf unserm Nacken steht
mit Raubtiertatze und gezähntem Rachen
und uns zu Boden drückt mit harter Miene:
Besiegte Kreatur, nun diene, diene!
Ist unser Schlaf nur eine Folterbank,
auf der wir hingestreckt verzehnfacht fühlen,
wie in den Körper, ausgelaugt und krank,
sich immer gieriger die Messer wühlen,
indes die Henkersknechte mit Gezank
an jedem Muskel sich ihr Mütchen kühlen,
und rundumher schon müdgewordne Schlächter
dem Fest zusehn mit teuflischem Gelächter?
Streun wir vom Morgen bis zur Abendzeit
der Reue Asche auf die Scheitelhaare?
Umschreiten wir im grauen Büßerkleid
des Vaterlandes ungeheure Bahre?
Und sind wir allem bittern Menschenleid
gewaltigste und furchtbarste Fanfare,
vor derem Tone alle Klänge schweigen
und seltne Zeichen sich am Himmel zeigen?
Und geben die, die unter uns noch voll
kostbarster Dinge ihre Truhen haben,
das Letzte her, auf daß des Hasses Groll
der Witwen, Waisen, Krüppel wird begraben?
Und beugen sich die Stirnen demutsvoll,
wenn einer von den dargereichten Gaben
nichts wissen will und mit des Zornes Beben
hinweist auf sein vom Krieg geschändet Leben?
Und sind wir alle Diener eines Sinns,
der Arbeit heißt und nimmermüdes Schaffen?
Und wolln wir nicht um Zins und Wiederzins
der Erde Gut aufs neu zusammenraffen,
auf daß die Fülle klingenden Gewinns
nicht mehr zugute kommt geputzten Laffen
und geilen Dirnen, die mit ihren Händen
die letzte Würde unsrer Tage schänden?
O nein, o nein, nichts, nichts von alledem!
Wir pfeifen auf den Stolz und auf die Ehre!
Wir sitzen da, gelassen und bequem,
als wenn die Welt voll deutscher Sonne wäre
und unser Haus nicht aus zerschossnem Lehm,
berannt von einem wilden Sorgenheere.
Gebälk stürzt ein, die schmalen Fenster splittern,
indes wir um verbuhltes Lächeln zittern.
Wir hüllen uns in Seide, Samt und Gold,
Champagner schäumt mit fröhlichem Gezische,
der weiße Würfel aus dem Becher rollt,
die Karten klatschen auf die grünen Tische.
Indes Verderben donnernd uns umgrollt,
verspeisen wir Pasteten, Braten, Fische
und lassen zwischen dürren Totenkränzen
den heißen Trank rasender Lust kredenzen.
Bacchantisch wirbeln wir im Tanz einher,
die Glieder zucken wild im Shimmysprunge,
die Stunde ist für uns ereignisleer,
wo nicht im Niggertanze keucht die Lunge.
O, uns ist nicht ein Tanz zu dumm, zu schwer -
sind wir nur einmal mitten drin im Schwunge.
Die Seide klitscht am weißen Frauenfleische,
den Saal durchirrt hysterisches Gekreische.
Und Fest jagt Fest. Wenn auch mit Bettlerhand
die Krüppel kauern an den Straßenecken,
sich Blinde über graues Städteland
hintasten mit den abgetretnen Stecken
und hinter mancher dünnen Zinshauswand
der Armen Kinder massenhaft verrecken -
was macht dies aus? Wir wollen ja vergessen
und nicht mit Sonden unser Elend messen!
Was gilt die Arbeit? Ach nur so viel, wie
das Dasein braucht für dies Gespensterleben;
sie hat nicht Rhythmus mehr und Melodie,
und wo sich Muskeln noch im Schaffen heben
und wieder senken, da geschieht es nie
in einem edlen In-die-Höhe-Streben.
Nein, alles feilscht und handelt, wie der Jude
es einst getan in seiner Ghettobude.
So taumeln wir dahin und sehen nicht
der Warnung Lettern an der Wand erscheinen
und hören nicht die Stimme, die da spricht
gewaltig aus den Balken und den Steinen:
Ich bin die Zeit, und schreckliches Gericht
wird hier die Sonne und der Mond bescheinen,
muß ich verkünden es aus meinen Wunden:
Gewogen, Volk, und viel zu leicht gefunden!
Alfons
Petzold . 1882 - 1923
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