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Alfons Petzold
Totentanz
. 1. Auflage 1923
Nächtliche Erscheinung
In Finsternis und Nacht
hab ich das Licht gesucht.
Um mich hat Lust gelacht
und wilder Zorn geflucht,
Leib einer Dirne strich wie
fetter Rauch vorbei,
und aus dem Dunkel wich
ein halberstickter Schrei.
Aus feuchten Häusern schwoll
des Lebens ekle Schmach,
und böser Haß und Groll
lief meinem Schatten nach.
Durchmodertem Gelaß
entsprang ein Stimmenchor,
und im Diskant und Baß
schrie's in die Nacht empor:
"Uns zeugte Dunkelheit
mit Ratte, Maus und Wurm,
des Lebens Haß und Neid
umsteint uns wie ein Turm.
Was uns an Speis und Trank
wird täglich vorgesetzt,
hat uns in Stirn und Wang
das Zeichen Kains geätzt!
"Wir kriechen nackt und wild
um das, was glücklich lebt,
wo unsers Gottes Bild
an goldner Mauer klebt.
Ihr hebt kaum euren Fuß,
wenn ihr uns Bettler seht.
Wir sind euch nur wie Ruß,
vom Winde hingeweht!
"Was aus uns klagt und stöhnt,
ist euch wie Tiergeschrei,
und von den Aengsten höhnt
ihr eure Seele frei.
Ihr wendet euch nicht um,
wenn eines von uns stirbt
und röchelnd oder stumm
gleich einem Hund verdirbt!
"Die Hure und der Dieb,
die alte Kupplerin,
der, dem ins Antlitze schrieb
der Schnaps das Urteil hin.
Wie ekler Krankenschleim
und Unrat wirken sie
und euer letzter Reim
auf uns ist: Armes Vieh!
"Ja, armes Vieh, sonst nichts
sind wir auf dieser Welt,
im Strahl des Sonnenlichts,
vom Lampenschein erhellt.
Geboren von der Nacht,
Teil ihrer Dunkelheit,
schrein wir aus unserm Schacht:
Fluch, Fluch! in diese Zeit!"
Der schrille Chor verklang -
ich wankte in ein Haus.
Gesang und Weinduft drang
von seinem Tor heraus.
Der hellste Lichtschein lag
auf jedem Tun und Ding.
Hier blieb ich, bis der Tag
mit mir nach Hause ging.
Alfons
Petzold . 1882 - 1923
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