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 Alfons Petzold
 Gesicht
in den Wolken . 1. Auflage 1923
 
 
 
 
 
Die Völkerflut Wir sind gestaute Völkerflut vor Gott:wir Europäer und Asiaten, wir Amerikaner, Neger
 und Malaien.
 Wir schritten dahin im Trieb des Geistes nach Ferne,
 die Köpfe gesenkt wie Büffel auf ihrer Wanderung,
 schauten nicht links noch rechts, blickten immer nach vorne,
 wo die Fahnen schwankten, die Standarten, Roßschweife,
 eine Wolke von Farben, metallenem Funkeln, Sonnenkreisen
 und lockenden Bildern gewaltiger Wünsche.
 Wir überstiegen die Wälle von Jahrtausenden,
 durchwateten die Meere der Urzeit,
 und in den Busen unserer Wanderung
 bauten wir, wie im Spiel und halb umfangen vom Traum
 der Müdigkeit,
 Tempel und Städte,
 die wir dann wieder zerstampften,
 daß uns der Staub um die Schädel und bis zu den Sternen flog.
 Uns hielt nichts auf, nicht der Ahnen Mumien und Moder,
 nicht Sesostris, der Macedonier Alexander, Kaiser Augustus,
 Tamerlan, Napoleon,
 nicht die thebanischen Heiligtümer, Jerusalems goldener
 Tempel, der schwarze Stein der Kaaba in Mekka, Benares
 diamantene Götterpaläste, die gotischen Münster,
 nicht die Diana von Ephesus, Anguilotis Moses, Buddho
 Gautamos Rätselblick auf Ceylon, des Nazareners furchtbares Kreuz,
 nicht der Fetisch des Basutonegers, nicht der Talisman des Südseeinsulaners.
 Wir umkrampften die Lanze, das Beil, das Buch, den Pflug,
 der Ochsen Hörner, das Vlies der Schafe und die Zügel der Pferde
 und wanderten, den Blick in den undurchdringlichen Wald
 der Standarten und Fahnen vor uns gehängt,
 weiter und weiter über die Fläche der Zeit.
 Und wir wuchsen gewaltig an Zahl wie Heuschreckenschwärme:
 Arm rieb sich wund an Arm, der Atem verbrühte des Vormannes Rücken,
 Herz  schlug  gegen  Herz  und  die Gehirne klebten sich zusammen.
 Wohl fielen wir über die Schwächeren her,
 würgten uns Raum, mordeten, daß es anfing, Blut zu regnen,
 doch die Schöße unserer Frauen waren mächtiger als unsere würgenden Hände.
 Wir wuchsen und wuchsen,
 bis daß unsere Scharen die verborgenste Insel bedeckten,
 die Wüsten erfüllten
 und die Letzten unserer Nachhut am eisigen Ende der Erde standen.
 Da ... ein unerhört gewaltiges Gebrüll braust aus uns, der Masse Mensch -
 wir können nicht mehr weiter -
 und nicht ist es die Geste eines einzelnen,
 nicht die dämonische Wut der Elemente,
 nicht der von uns oft so gelobte Krieg,
 nicht der aus Blut und Lehm geformte Leib eines neuen
 Gottes oder einer neuen Göttin,
 was uns hemmt im stampfenden Vorwärtsschreiten.
 Wir stemmen nach vorne -
 wir rasen tierhaft auf -
 Dünste der Angst wölken auf -
 Wutgebrülle, Wehegeheul, irrsinniges Lallen und Beten -
 wir prallen zurück -
 o grausam erhabener Anblick!
 Unsere Standarten, Fahnen, all unsere bunten und metallisch
 strahlenden Heerzeichen
 sind zur Erde niedergeprasselt -
 Und es sitzet gegen den Horizont gelehnt,
 die schwarzbasaltenen Hände auf Sonne und Mond gestützt,
 ein Steinlächeln im abgründigen Angesicht:
 GOTT.
 
 
 Alfons
Petzold . 1882 - 1923
 
 
 
 
 
 
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