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Alfons Petzold 
 
Der
Irdische . 1. Auflage 1923 
 
 
 
Im Mai 
Ich liege selig unter Bäumen, 
die rings um mich wie Mädchen stehn 
und darf mit meinen jungen Träumen 
im Garten Gottes spazieren gehn. 
 
Die Sonne heißt Marie 
und trägt ein goldnes Krönchen, 
Prinzessin Tausendschönchen 
ist nicht so schön wie sie. 
 
Sie nimmt mich bei der Hand 
und sagt: "Wir wolln versuchen, 
zu machen einen Kuchen 
aus blauem Himmelssand." 
 
Wir sitzen Leib an Leib. 
Zu unserm leisen Singen 
die goldnen Schüßlein klingen. 
O holder Zeitvertreib! 
 
Ein Weiblein mild und grau, 
in Tücher eingehuschelt, 
steht neben uns und tuschelt 
und flüstert heimlich: "Schau!" 
 
Da seh' ich Jugendland 
aufglänzen und die Tale, 
wo ich die hundert Male 
den Drachenkampf bestand. 
 
Bin wieder Schiffkap'tän, 
Hauptmann der Räuberbrüder, 
und Skalpe wollen wieder 
an meinem Gürtel weh'n. 
 
Du toter Kamerad, 
der mir im Teich versunken, 
sag', bist Du nicht ertrunken, 
weil dort Dein Blondkopf naht? 
 
Und Du, mein Annerle, 
Verschollene der Gasse, 
du Schüchterne und Blasse, 
du armes Großstadtreh, 
 
dein Atem weht mich an, 
wie einst, als Du beim Spielen 
vor allen andern Vielen 
sagtest: "Du wirst mein Mann!" 
 
Ihr alle seid bei mir, 
ihr Mädchen und Kam'raden, 
die Gott zum Spiel geladen 
im Armeleutquartier. 
 
Da geht es durch den Busch 
in alter Lust und Freude, 
manch Loch sitzt schon im Kleide - 
husch! - husch!! 
 
Ein Vogel hat mit seinen leichten Schwingen 
mich aus dem schönen Maitraum aufgeweckt. 
Vorbei der goldnen Schüßlein helles Klingen, 
das Spiel der Kinder, unser Rufen, Singen - 
und nur das Weiblein mild und grau, 
schon halb vom Dämmer zugedeckt, 
winkt mir noch einmal zu im Abendblau.
 
 
 
 
Alfons
Petzold . 1882 - 1923 
 
 
  
 
 
 
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