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Alfons Petzold 
 
Der
Irdische . 1. Auflage 1923 
 
 
 
Erlebnis 
Es war im Herbst.    Die funkelnden Laternchen 
der Ebereschen glühten aus dem Laub, 
und in der Luft umzitterten uns Sternchen 
von gelbem Samen oder Blumenstaub. 
Wir waren nach dem Mittag aufgebrochen, 
und drei Uhr schlug es, als der gute Wald 
uns zwei umgab.   Wie  hatten wir seit Wochen 
uns diese Stunden selig ausgemalt! 
 
Ob sie Maria hieß oder Hermine - 
heut weiß ich es nicht mehr; doch stand das Kind 
wie ich sechs Tage lang an der Maschine 
im Oeldunst, Räderlärm und Riemenwind. 
Nun glühten ihre sonst so bleichen Wangen, 
und zärtlich strich sie über manchen Baum, 
indes mich Glücklichen die Vögel sangen 
in einen, unser'm Schicksal fremden Traum. 
 
Vor meinen Augen zitterten Fontänen 
hoch über eines Parkes grünen Raum; 
die Sonne warf den Kranichen und Schwänen 
ihr Gold verschwendrisch auf den weißen Flaum 
und brach sich in den hundert Fensterscheiben 
des Schlosses - nennen wir es  "Irgendwo"  - 
in dem ein Ballfest war, ähnlich dem Treiben 
wie einst im Königschloß Fontainebleau. 
 
Ich war dabei, als Prinz von Gottes Gnaden 
in Seide, Gold und Sammet eingehüllt; 
ein Degen schlenkerte mir an die Waden, 
und meine Freunde waren neiderfüllt, 
weil mich die Herzogin verliebten Blickes 
zu ihrem Günstling für das Fest gemacht, 
und ich im Ahnen kaum erhofften Glückes 
entgegenlächelte der nahen Nacht. 
 
Da streifte mich beim Menuett ganz flüchtig 
ein Mädchenkörper einer Elfe gleich, 
und alles wurde für mich schal und nichtig: 
Tanz und Musik, die Frauen puderbleich. 
Ich sah nicht mehr die heiße, mir geneigte 
Stirne der Herzogin und fühlte nur, 
wenn sich das Mädchen, wie ein Schatten zeigte; 
daß es wie Sturm durch meine Seele fuhr. 
 
Und eine Stunde später - Hirn, vergesse 
doch meiner Phantasie geheimen Streich! - 
ging eine junge süße Vikomtesse 
an meiner Seite durch das Gartenreich. 
Wir schritten tief hinein, bis auch die Rampe 
des Schlosses hinter hohen Bäumen schwand, 
und nur das Licht der goldnen Sonnenlampe 
uns beide in der grünen Wildnis fand. 
 
Dann - Seele lag an Seele, Lipp' an Lippe, 
ein Frauenfrühling schenkte mir sein Blühn 
mitten im Herbst, mein Herz schlug an die Rippe 
und wollte schier aus Leidenschaft verglühn - 
da mochte sich etwas im Walde regen - 
ernüchtert sprang ich auf und hob den Blick - 
es lag vor mir, dem Prinzen ohne Degen, 
die Kameradin aus der Bandfabrik. 
 
Von Abendrot und Scham war übergossen 
ihr frühverhärmtes, schmales Angesicht, 
und um das magere Figürchen flössen 
die Dämmerschatten blau und seidendicht. 
Da war sie wieder meine Vikomtesse 
mit Reifrock und galantem Schäferstab, 
der ich bis heute nicht das Glück vergesse, 
das sie mir damals an dem Herbsttag gab.
 
 
 
 
Alfons
Petzold . 1882 - 1923 
 
 
  
 
 
 
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