Gedichte.eu Impressum    

Gedichte, Lyrik, Poesie

Der Dornbusch
162 Bücher



Alfons Petzold
Der Dornbusch . 1. Auflage 1919



Die Stadt

I

Manchmal ist es, daß die Steine
der Häuser ringsum sich zu regen beginnen,
daß sie sich lösen aus ihren Mörtelrinnen,
wie lebendige Hände und Beine.

Jeder ein Stück Sehnsucht nach Liebe und Ferne,
von den Menschen um all ihre Sehnsucht betrogen,
voll von dem Haß der Dunklen gesogen,
eifersüchtig auf die toten Sterne.

Furcht erfaßt mich vor dem Starren der Wände,
Krallen fühle ich in mein Herz eindringen, -
eine Frage will mich zu Boden zwingen:
"Wie viele Steine fesselten deine Hände!"


II

Von allen Dächern tropft die dichte Nacht,
die Straßenlampen glimmen seltsam rot;
vom Nebel schwarz und lampenleer gemacht,
ist jedes Haus vor mir ein Teilstück Tod.

Ein Grauen hängt sich fest an meinen Arm,
Urwald umgibt mich in der großen Stadt;
bald überläuft's mich kalt, dann wieder warm,
wie einen, der ein böses Fieber hat.

Stumpf glänzt das Pflaster, wie ein fettes Moor
läßt es den Lärm der Stadt in sich verschwinden:
es klirrt kein Fenster und es knarrt kein Tor -

Ich geh dahin mit dem Gefühl der Blinden:
du trittst aus einem dichten Dunkel vor,
um ringsumher nur wieder Nacht zu finden.


III

Gehe ich durch die Straßen der mächtigen Stadt,
höre ich Wälder posaunen, Wiesen rufen,
tönt mir ins Ohr das Flüstern von Halm und Blatt
und nicht der Schall tausender Füße auf steinernen Stufen

Alle Metalle, Kalk, Mörtel und jeder Stein,
Balken und Planken der Dächer und aller Bäume
werden lebendig und wieder keusch und rein,
so, als wären sie noch Erde, Gebirge und rauschende Bäume.

Das Surren der Trambahndrähte ist Vogelgesang,
Wildhähne kollern im Tuten der Automobile,
Wälder und Blumen rieche ich aus dem Asphaltgestank,
ich habe auf einmal tausend kühne Wünsche und Träume.


IV

Seltsames Tun der Menschen in der Welt:
Stein, Erde, Eisen, Holz zusammentragen,
mit Riesenwaffen tiefe Wunden schlagen
dem freien Hügel und dem freien Feld.

Darüber tausend düst're Räume bau'n,
mit starren Wänden, winterkühlen Fliesen,
und ohne Ausblick auf die fernen Wiesen,
das Grau der Mauern Tag für Tag beschau'n.

Und mit den Händen nichts Erhab'nes tun,
nur Dinge formen, ohne Sinn und Würde,
um abends, wie die Schafe in der Hürde,
sich von des Daseins Armut auszuruh'n.

Und träumen von der andern Wesen Not,
die nicht auf Stein und Holzgetäfel treten
und nicht an jedem Morgen ehrsam beten:
Mein Gott, ich danke dir für Dach und Brot!


V

Aufgeteilt in ungezählte Punkte,
wie von einem Bleistift hingehaucht,
liegt die Stadt. Was vorher glänzend prunkte,
ist in Nacht und Stille eingetaucht.

Leise öffne ich die Fensterläden,
beug' mich über des Gesimses Rand,
von den hochgespannten Trambahndrähten
fällt ein Surren in das Straßenland.

Gleich darauf ein Rattern auf den Schienen,
die ein greller Lichtwurf überglüht,
und in zwei beräderten Vitrinen
seh ich Menschen sitzen, bleich und müd.

Blitzschnell gleiten sie an mir vorüber
in die Ferne, in den Schlaf hinein, -
auf dem dunklen Pflaster lischt ein trüber,
fahl verzitternder Laternenschein.


VI

Wir wandern in der großen Stadt
einsam umher, wie einstens Parzival;
kein Vogel singt, es rauscht kein Blatt,
was mit uns geht, ist nur des Schweigens Qual.

Wir seh'n uns an mit heißem Blick,
die Herzen sind voll Licht und Glut
und leben dennoch das Geschick
der Dinge ohne Fleisch und schnelles Blut.

Wir sind ganz Mauer, toter Stein,
sind Türenholz und Fensterglas
und sind so einsam und allein,
wie nicht das kleinste Hälmchen Wiesengras.

Wer hat von unserem Sein Gewinn,
wer wacht ob unseres Daseins Hauch?
Wir schwinden spurloser dahin
als dort aus dem Kamin der blaue Rauch.


  Alfons Petzold . 1882 - 1923






Gedicht: Die Stadt

Expressionisten
Dichter abc


Petzold
Der Ewige und die Stunde
Heimat Welt
Der Dornbusch
Einkehr
Gesang von Morgen...
Totentanz
Der Irdische
Gesicht in den Wolken

Intern
Fehler melden!

Internet
Literatur und Kultur
Autorenseiten
Internet





Partnerlinks: Internet


Gedichte.eu - copyright © 2008 - 2009, camo & pfeiffer

Die Stadt, Alfons Petzold