Gedichte.eu Impressum    

Gedichte, Lyrik, Poesie

Melancholie
162 Bücher



Christian Morgenstern
Melancholie . 1. Auflage 1906



Fiesolaner Ritornelle

Oliven.
Erst wenn der Wind euch beugt und schaudern macht,
enthüllt ihr eure silbernen Tiefen.

*

Cypressen.
Ihr lehrt mit nicht gemeinem Mass
die Dinge messen.

*

Feigen.
So sinnlich sah ich keinen zweiten Baum
Unfassbares umzweigen.

*

Käuzchenschreie.
Des Unglücks Bote ruft durch stille Nacht.
Wann kommt an uns die Reihe?

*

Mondnächte, klare.
In solchen Nächten stiehlt man nichts
denn Liebesware.

*

Nachtschatten.
Erinnerst du dich, fernes Mädchen, noch,
wie lieb wir uns einst hatten?

*

Judasbäume.
Dass ich vor euch nicht von verratner Liebe
träume!

*

Verfrühter Falter.
Du flogst, verwegner Geist, der Zeit voraus;
noch dämmert erst dein Alter.

*

Glänzende Dächer.
Im Mittagschleier ruht die Arnostadt,
ein edelsteinbesetzter Fächer.

*

Zwölfuhr-Schuss.
Dem Aug' blitzt Mittag schon, indes das Ohr
sich noch im Vormittag gedulden muss.

*

Domglocke brummt:
Aus Höhn und Tiefen keine Antwort mehr:
Mein Gott, mein Mensch sind beide längst verstummt.

*

Ihr sanften Hügelketten!
Umsonst versuch' ich in mein Buch zu schaun;
wer könnte sich vor Eurer Anmut retten!

*

Eidechse.
Solang ich pfeife, hältst du still und horchst, -
doch greif ich zu, entwischst du, kleine Hexe.

*

Amsel flötet, Biene summt,
Frühling jubelt über allem Leben ..
Mund des Glücks, du warst mir lang verstummt.

*

O Welt!
Wie gern genöss' ich als ein Schauspiel dich,
von halber Höh', nur locker dir gesellt.

*

Von halber Höh' - ein Adel, der mir passt.
So lebt' ich immer, zwischen Tier und Gott,
halb Mensch, halb Vogel, zweier Reiche Gast.

*

Glanzgrauer Tag.
Aus Deinem Taft soll man die Flagge machen,
darin man mich dereinst begraben mag.

*

Der Freund schreibt:
Des Herzens unverwandte Einsamkeit,
du fühlst sie auch - und wie sie nichts vertreibt.

*

Mohn im Winde.
So neigen wir uns glühend geneinander, -
doch nie wird zwei zu eins - als einst im Kinde.

*

Epheuranke.
So reich verkleidet Trümmer und Zerfall
nur Eins noch: der Gedanke.

*

Die Fünfuhr-Glocke ruft durch bleiche Nacht:
Wer schläft, wach' auf, und wer da wacht, schlaf ein;
so hab' ich jedem, was ihm frommt, gebracht.

*

Morgenhauch.
Aus Bett und Haustür ziehst du mich hinaus,
wie aus der Esse den verschlafnen Rauch.

*

Giottos Grabschrift von Polizian.
Zwiefacher Hauch der Vorzeit traf uns voll,
als wir im Dom die stolzen Verse sahn.

*

In meinem Burckhardt wühlt empört der Sturm:
So war es einst, so soll es wieder sein!
Das gafft nur, schafft nicht mehr um Giottos Turm.

*

Kaum mehr erhoffte Tage!
Mit dreissig Jahren fand ich eine Stadt,
zu deren Bild ich ja und Amen sage.


  Christian Morgenstern . 1871 - 1914






Gedicht: Fiesolaner Ritornelle

Expressionisten
Dichter abc


Morgenstern
Auf vielen Wegen
Ein Sommer
...ründet sich ein Kranz
Melancholie
Einkehr
Ich und Du
Wir fanden einen Pfad

Intern
Fehler melden!

Internet
Literatur und Kultur
Autorenseiten
Internet





Partnerlinks: Internet


Gedichte.eu - copyright © 2008 - 2009, camo & pfeiffer

Fiesolaner Ritornelle, Christian Morgenstern