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Auf vielen Wegen
162 Bücher



Christian Morgenstern
Auf vielen Wegen . 1. Auflage 1897



Zwischenstück

Fusch-Leberbrünnl.
(Herzogtum Salzburg.)
Tagebuch-Fragment.
10.-22. August 1896.

                    Nulla dies sine linea.


Vor einem Gebirgsbach.

(10.)
Wagrecht diese Wasser, - und zu Ende
Wellenspiel und jähe Formenwende!
Wo liegt's? Der Wechsel selbst, für sich allein?
Der Wechsel nur in mir, nur Form, nur Schein?

(11.)
Dunkel von schweigenden Bergen umschlossen,
vergessen die Welt wie ein Puppenspiel,
nebelumflossen, regenumgossen,
doch in der Brust ein leuchtendes Ziel.

(12.)
Hinaus in Nebel und Regen,
wie stark auch der Himmel trauft!
Mit Sprühwasser-Morgensegen
die junge Stirne getauft!

(14./15.)
Spät von Goethe und andrem Wein
hab ich mich des Nachts getrennt -:
Legionenfacher Schein
überfloß das Firmament.
Wie ein Silberschauer rann
grenzenlose Sternenpracht
über Gipfel, Hang und Tann
durch die tiefe, heilige Nacht.

Morgen.

(15.)
Nun sind die Sterne wieder
von blaßblauer Seide verhüllt,
nun Näh' und Ferne wieder
von junger Sonne erfüllt.
Ihr weißen Wasser, die ihr
hinab zur Ebne springt,
oh sagt den Freunden, wie mir
das Herz heut singt und klingt.

Und doch!

(d.)
Und doch, ich sag es frank und rund,
mir fehlt noch was zum Glücke -:
Ein lieber, süßer Mädchenmund,
ein Arm, der meinen drücke,
ein Aug, darein ich glänzen könnt'
mein jubelndes Empfinden,
ein Blondhaar, das ich Keinem gönnt'
sich um die Hand zu winden.

(d.)
Schwerer Nebel dunkle Lasten
sinken von dem Schnee der Kämme
über öde Herdenrasten
in des Tannichts finstre Stämme.
Nur des Baches bleiche Brandung
rauscht und leuchtet noch gerettet, -
bis die düstre Dunstgewandung
endlich ihn auch überbettet.

Vor zurückgeschickten Versen.

(16.)
Urteilsloser Nörgler Schlag
ruhig schelten lassen!
Müssen dich nach Jahr und Tag
dennoch gelten lassen.

(17.)
Schlechte Wittrung trägt sich gut,
wenn die Luft nur rein ist;
Städtedunst verdirbt das Blut,
selbst wenn Sonnenschein ist.

(d.)
Möcht' es wohl hier oben wagen,
Apostat vom Tinten-Grale,
mit des Bergstocks hartem Stahle
Runen in den Fels zu schlagen!

Abendliche Wolkenbildung.

(d.)
Oben stille, bleiche Lämmer,
drunter sonngoldschwere Züge,
trotz erhöhter Hellnis Lüge
ohne Wehr dem nahen Dämmer.

(18.)
Wer doch den trüben Wahn erfunden,
daß keine Seele glücklich sei!
Ich war's, ich bin's! in reichen Stunden
von aller kleinen Trübsal frei.

Nicht wahrlich, da mit heisrem Atem
die Menge mir den Weg verbellt, -
doch nun Suleika sich und Hatem
mit goldnen Liedern mir gesellt.

Nun da Natur mich treu umbreitet
mit Tannen, hehr wie Hafis' Geist,
und drüber mir die Blicke weitet,
bis, wo der letzte Fels vereist.

Wie sollt ich da nicht Mensch sein mögen,
ein weltverleumderischer Tropf!
So gern sie auch herunter bögen
den heitren, hochgemuten Kopf.

Abendbeleuchtung.

(19.)
Wie sich die Gebirge bauen,
Sonnenspätlichts überboten,
fern zurück: von milchig blauen
bis zu violett- und roten!

"Dichter"?

(20.)
Nur nicht eignen Gang bespähen!
Immer kopfhoch weiter wandern!
Bald genug, und gleich den andern
wirst du im Register stehen.

Briefe.

(d.)
Briefe von den beiden treusten,
liebsten, schönsten Weggenossen!
Ihr in dritten Freundes Fäusten:
Und der Zirkel ist geschlossen.

Vor einem Wasserfall.

(d.)
In breiten Spießen stürzt die Flut zu Thal,
noch mehr, in lang hinabgedehnten Brüsten - -
bis endlich wehnder Staub der letzte Strahl
und hier und dort gestreut nach Winds Gelüsten.

"Leberbrünnl"-Schlucht.

(d.)
Jeden Abend, den ich kehre
aus der Thäler weitem Lauf,
geht mein Herz in Dank und Ehre
deiner stillen Schönheit auf.

(21.)
Freundin Phanta hat unzweiflich
mich hier oben schnöd verlassen,
doch Faullenzen, Schlafen, Prassen
macht es unliebsam begreiflich.

Natur spricht.

(d.)
Mußt denn um mein ewig Leben
immer arme Verse spinnen?
Glaubst du Größeres zu geben,
wo so Großes zu gewinnen?

Laß die undankbaren Musen,
bin ich Mutter nicht von allen?
Besser als an ihrem Busen
wirst du dir bei mir gefallen!

Ich antworte.

Ach wenn ich gewinnen könnte
kindesweich noch wie vor Jahren!
Allzufrüh schon, Mutter, gönnte
mir mein Stern, allein zu fahren.

Kannst mir Lieb' und Heimat geben?
Für mich Tote neu mir schenken?
Dunkles Irrn, verfehltes Streben
in Vergessens Abgrund senken?

Kannst du neu mich selber schaffen?
Nochmals dich in mich verschwenden?
Kannst du bessre Lebenswaffen
thatbereitem Sohne spenden!

Nein, auch du kannst mich nur trösten.
Hülfe kommt allein von innen.
Meiner Lebenswerte größten
werd' ich nur durch mich gewinnen.


Nebel ums Haus.

(d.)
Ein Dunstgewölb, wie ich noch keines sah!
Durchbleicht von außen von des Vollmonds Schein!
Auf kleiner Insel dünk' ich mich allein -
bin ich Napoleon auf St. Helena? ..
Der nahe Bach giebt lauter Brandung Ton ...
Durchs Tannicht schimmert's hell - wie meilenweit ...
Ich brüt' in ungeheure Einsamkeit .....
Nach Englands Küste kehrt Bellerophon.

Zum Abschied, an F.-L.

(22.)
Wie ich schwer von deiner stillen,
unberührten Schönheit gehe!
Doch ich habe tiefen Willen,
daß ich einst dich wiedersehe.


  Christian Morgenstern . 1871 - 1914






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