Fabeln

1.

Die giftgeschwollene Spinne saß
Und fing den schönen Schmetterling.
"Ist die gepries'ne Schönheit das?
Dies plumpe Ding?''
"In deinem Netze freilich nicht,"
Rief während sie vorübersummte
Die Biene, "aber wohl im Licht."
Die Häßliche verstummte.


2.
Wohlwollen.

Ich war ein Wurm und ward in Staub getreten,
Mein ganzes ganz geheimes Leben lang,
Ich hab um Regen oft die Luft gebeten,
Ich wurde nicht gehört - die Grille sang.
Ich bat den Mond und wand mich lechzend weiter;
O gib mir Thau, du Guter! Sei nicht taub!
Umsonst! Die Frösche quakten noch so heiter
Und ich kroch nach wie vor dahin im Staub.
Da sprach ich zu der Wurzel einer Eiche:
Auch du, Erhab'ne, leidest Noth im Haus;
Sie gab zur Antwort: Wurm! Wenn dich die Streiche
Des Schicksals treffen, harre standhaft aus.


3.
Lohn.

Gefangen lag in Eisenschlaufen
Der Löwe, diesmal rettungslos,
Das Mäuschen kam herbeigelaufen,
"Ach,'' rief es, "Herr! die Noth ist groß.
Ich kann die Maschen nicht zerreißen,
Kein Nagen hilft, es hilft kein Beißen.''
"Hm,'' sprach der Löwe, "sehr verbunden,
Doch meine Nahrung hier ist knapp,
Mich hungert, komm -" und flugs verschwunden,
Verschwunden war auf einen Schnapp
Das Mäuschen in dem Löwenrachen.
Das ist gar oft der Lohn des Schwachen.


4.
Gefallene Größe.

Vom Bergjoch war ein Felsenbrocken
Zu Thal gerollt, ein Riesenstück,
Am Anfang war man sehr erschrocken,
Doch bald erkannte man das Glück.
Das Schlingkraut wand auf allen Wegen
Sich dreist heran voll Ueppigkeit,
Und drüber machte sich verwegen
Der Dornstrauch voller Hochmuth breit.
Die Kröte rief mit gift'gem Hohne:
"Du, der sich also hoch gedäucht,
Erlaube, daß ich bei dir wohne,
Ich hab es gerne dumpf und feucht.''
"Nun also sind auch die da droben
Nicht sicher,'' schrie ein Rabenschwarm,
"Es wollte der den Flug erproben,
Den Flug wie wir, daß Gott erbarm!''
Ja, sprach beim alten Eichenstumpfe
Ein Tümpel: "Demut lob auch ich, -
In mir, dem still bescheidnen Sumpfe,
Gefallne Größe, spiegle dich!"


  Hermann von Lingg . 1820 - 1905

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