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Neue Gedichte
162 Bücher



Detlev von Liliencron
Neue Gedichte . 1. Auflage 1893



Krischan Schmeer

Auf dem Tütvogelmoor, im Wollgrasmeer
Arbeitet Peter Hans Christian Schmeer
Nun an die achtzig Jahre schon,
Ums liebe Brot, um kargen Lohn.
Sein Rücken ist krumm, sein Haar ist weiß,
Hier grub er als Knabe, hier gräbt er als Greis.
So fuhr er, so fährt er mit seinen Hunden
Den Torf zur Stadt, die erst nach Stunden
Der gebrechliche Wagen erreichen kann,
Dort heißt er von jeher der Schwarzsodenmann.
Zuweilen, doch selten, trinkt er sich einen;
Dann schläft er getrost auf den Pflastersteinen
Bei seinen Tieren den Rausch sich aus,
Und klappert dann wieder vergnügt nach Haus.

Sein einziges Kind, sein Sohn - ist gestorben?
Im Ausland, wohin er ging, verdorben?
Nie hörte mehr einer von ihm, kein Wort,
Es raunt durch die Binsen von Totschlag, von Mord,
Den hab' er vollführt, doch ließ sich nicht fangen.
Fast vier Jahrzehnte sind hingegangen.

Sein Sohn war sein Stolz, seine Hoffnung, sein Held
In seiner ganzen armseligen Welt.
Wie wuchs der heran, wie die Buche gestreckt,
Schon als Junge wußt' er in Furcht und Respekt
Zu bannen die lustige Kinderschaar
Als Räuberhauptmann, als Hospodar.
Sieben Fuß groß, und mit wildem Blut,
That er als Jüngling wenig gut.
Die Mädchen entriß er ihren Galanen,
Wies ein Sultun verlangt von den Unterthanen.
Er blieb der Herr, wohin er schlug,
Er war der Herr! und damit genug.

Ob es der Alte jemals verwunden,
Daß niemand die Spur des Flüchtlings gefunden?
Seitdem sein Erbe die Landschaft verlassen,
Mocht' er nicht lieben mehr noch hassen.
Gleichmütig schiebt er zum Torfstechen hin,
Und allmählich schwand ihm der nüchterne Sinn.
Er ward Spökenkieker, hatte Gesichte,
Erzählte sich selbst manche Spukgeschichte,
Hielt mit Irrlicht und Hexen oft Zwiesprach lange,
Den Wehrwolf kannt' er, die Mitternachtschlange.
In der Dämmerung sah er, ohne zu schaudern, stehn
An den Gräben Ertrunkne im Abendwindwehn.
Und die Ertrunknen standen kerzengrad,
Stumpfäugig, im triefenden Leichenornat.
Und der Mond kriecht langsam über den Hügel
Und ängstet das nächtige Sumpfgeflügel.
In den Wassertümpeln, bis in die weiteste Ferne,
Blinkert das blasse Licht der Sterne.

Und es war ein heißer, zitternder Junitag,
Der Käthner berechnet sich seinen Ertrag.
Schwer hält er die Linke am Spaten gestützt,
Mit der Rechten hält er die Augen geschützt
Vor der Sonne im endlosen Steppenkreis,
Oder denkt er nicht an Geld noch Preis?
Wohin schaut er, was beugt er das Haupt so vor?
Zieht jemand heraus aus flammendem Thor?
Über einem dürftigen Roggenfeld flimmert
Ein spielendes Blenden, das näher schimmert.
Was ist das! Das fliegt ja, sind es Dämonen,
Sinds Menschen, sinds Engel, die schwebend thronen?
Und immer dicht über dem Roggenfeld,
Und ein Glanz durchglänzt ohne Gleichen die Welt.
Und Musik, und ein Sausen und Tosen und Prasseln,
Als wenn Eisenbahnzüge die Luft durchrasseln.
Und Riesenballons, hinten Fisch, Vogel vorn,
Lassen sich nieder in jenes Korn.

Und aus diesem Korn tritt im Krönungsstaat,
Mit der gleißenden Krone, ein Goliath.
Dem folgt unabsehbar ein Völkerheer,
Und alles geht zu auf Krischan Schmeer,
Tungusen, Mohren, Chinesen, Tscherkassen,
Europens, Amerikas, Afrikas Rassen,
Vom Nordpol, vom Südpol, vom Ganges, vom Rhein,
Ein Teppich kann bunter gewirkt nicht sein.
Und der mit der Krone, immer voran,
Reitet jetzt einen Fuchshengst aus Turkestan,
Mit Türkisen besät an Kopfputz und Bügel,
Mit rostbraunen Sammtdecken, knallrotem Zügel.
Und als sie nun sind bei Krischan Schmeer,
Schwingt sich vom Sattel der Jupiter,
Und wirft sich dem Alten zu Füßen, ists Traum,
Und küßt ihm demütig den schäbigen Saum:

Dreitausend Jahre sind verflogen,
Da ist dein Sohn in die Fremde gezogen,
Und von deinem Sohne stamm' ich ab,
Der errang und erzwang sich den Marschallstab.
Und hier, von seinem, und deinem Geschlecht,
Kniet der letzte vor dir, wie ein elender Knecht,
Und dankbar dir Ärmsten und deinem Herde
Siehst du im Staube den König der Erde.

Und verschwunden ist alles, und wie zuvor
Flimmert es über dem Ährenflor,
Und im einsamen, grellen Sonnenschein
Steht wieder der Alte tief allein.
Er reibt sich verwundert die Stirn, und dann
Fängt er von neuem zu graben an,
Um später den Torf in die Stadt zu karriolen
Und sich den kargen Verdienst zn holen.
Und trinkt sich diesmal gehörig einen,
Und schnarcht so laut auf den Pflastersteinen,
Daß die Polizei ihn weckt und zur Rede stellt,
Da hett he dat unklookste Tüg vertellt.


  Detlev von Liliencron . 1844 - 1909






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