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Gedichte, Lyrik, Poesie

Neue Gedichte
162 Bücher



Detlev von Liliencron
Neue Gedichte . 1. Auflage 1893



In Poggfred

Von meinem Schlosse fern und fern der Stadt,
Inmitten zwischen Wiesen, zwischen Hecken,
Wo auch der Wald sein Recht verloren hat,
Spielt einsam unterm Blumenflor Verstecken
Ein Häuschen mir wie eine Liebestatt,
Wo Läster- nicht noch Lügenzungen lecken.
    Es heißt Poggfred, das ist der Frösche Frieden,
    Denn Friede ist den Fröschen hier beschieden.

Es stört sie keiner, und so still ists dort,
Daß neulich, drollig, daß ich einen Hasen
Scharf hinter Krähen sah auf Tod und Mord.
Als wärs ein Hund, so jagt er übern Rasen
Die Vögel, die sich flatternd setzten, fort
Und fort, und hat sie wirklich weggeblasen.
    Wo solch ein harmlos, solch ein seltsam Bild,
    Zeigt da die Ruhe nicht der Welt den Schild?

Von meinen Ahnen einer hats gebaut,
Der zeitig schon die Menschen kennen lernte,
Der früh zurück sich zog aus Lärm und Laut,
Sich mit Behagen aus dem cant entfernte,
Der vorm Alleinsein niemals sich gegraut,
Sich gern schnitt einsamer Gedanken Ernte.
    Beim Glase hat er manche Nacht gesessen,
    Um Leid und Lebensschmerzen zu vergessen.

Das ist Philosophie, warum denn nicht?
Ein Trinker, der sich selbst nur hat beim Weine,
Der erst zur Ruhe geht beim Morgenlicht,
Das ihm die Nase tupft mit Glorienscheine,
Und heimst er Zipperlein auch ein und Gicht,
Und werden stöckrig endlich auch die Beine,
    Ihm wars Plaisier, es hat ihn nicht verdorben,
    Und am Burgunder ist er dann gestorben.

Ich wohn' in meinem Jagdhaus freilich nur,
Wird mir einmal zu arg die wilde Welt,
Dann findet sie so leicht nicht meine Spur,
Ich hab ihr Thor und Thüren abgestellt,
Und abgestellt hab' ich auch meine Uhr,
Daß sie mir nicht die kurze Zeit vergällt,
    Denn mehr als Wochen mag ichs mir nicht gönnen,
    Sonst fürcht' ich, nicht ins Joch zurück zu können.

Doch diese Wochen bin ich zu beneiden,
Mag nun Frau Holle ihre Kissen schütteln,
Mag mir der Sommermond Gesichter schneiden,
Mag mir der Sturm im Herbst die Fenster rütteln,
Mag Frühlingsregen blümen meine Weiden,
Stets wachen Riesen mit gewaltigen Knütteln
    Vor meiner Eingangspforte und besingen
    Den, der es wagen sollte einzu dringen.

Eh noch die Sonne aus dem Meere steigt,
Wenn mir der Traum noch seine Männchen macht,
Wenn mir der Traum noch ferne Sterne zeigt,
Wenn mir im Traum ein Ungeheuer lacht,
In dunkler Wolke hold ein Engel geigt,
Hat ein Gefährt mir alles das gebracht,
    Was zu des Leibes Notdurft keiner mißt,
    Der nolens volens Gast auf Erden ist.

Um zehn Uhr kommt ein Reiter angesprengt,
An jedem Tage, das ist mein Courier,
Dem um die Schulter eine Tasche hängt,
Darin er Briefe birgt und Druckpapier;
Zuweilen ist sie übervoll gezwängt,
Daß schwer zu tragen haben Mensch und Tier.
    Oft, schließ ich auf und spreng' ich Lack und Schnur,
    Verschüttet mich die deutsche Litteratur.

Die deutsche Litteratur, was wird mir weh,
Doch hab' ich jetzt von ihr nicht zu berichten,
Nur das noch zu erzählen, daß als Fee
Ein einziger alter Diener seine Pflichten
Bei mir versieht vom Kaffee bis zum Thee,
Und der versteht, gut so, nichts von Gedichten.
    Grüß Gott, Poggfred. Den Namen laß ich laufen,
    Sollt' ich ihn etwa Veilchentälchen taufen?

Heut hatt' ich meine Flinte umgehangen,
Um ins Gehege auf die Pirsch zu gehn.
Als über eine Blöße ich gegangen,
Fand ich an einem Birkenstämmchen stehn
Dort einen Clown mit buntbemalten Wangen,
Wie wir im Zirkus alle ihn gesehn,
    Wenn er uns Pudel vorführt oder Schweine
    Mit andern schönen Künsten im Vereine.

Er blies auf einer Flöte, die er quer
Den Lippen hielt, aus Mozarts Don Juan
Das Menuett. Da, aus den Büschen her,
Erschienen Hand in Hand, wie ganz im Bann,
Cäsar und Hannibal, in Waffenwehr,
Auch Fritz, Napoleon, als Viergespann.
    Sie kamen im Kostüm herangezogen,
    Wie wir schon früh sie sehn auf Bilderbogen.

Sie waren hager, häßlich, schmächtig, klein,
Der Korse auch. wie zu Marengos Tagen.
Die tanzten nun, und mußten Bein an Bein
Im Rokokogetrippelschritt sich plagen,
Und schauten mürrisch und verdrießlich drein,
Und fanden an der Sache kein Behagen.
    Der Clown blies ruhig seine Melodie,
    Und wie ein Affe folgte das Genie.

Ich bog mich vor, verwirrt, erstaunt, erstarrt,
Und ich sah Cäsar, und ich sah sein Glück,
Und wie er in Kleopatra vernarrt,
Und wie er sich vom Himmel riß ein Stück,
Wie Brutus an der Säule auf ihn harrt,
Und wie der Göttliche sank in Nichts zurück.
    Ich dachte seiner ungeheuern Schulden,
    Und seine Gläubiger mußten sich gedulden.

Des großen Königs Auge flammt empor,
So sah er bei Kolin wohl in die Runde,
Und wie er einritt durch das Kränzethor
Nach sieben Jahren mit der Kraft im Bunde.
Ich sah, wie er den letzten Blick verlor
In letzten Schmerzen, in der letzten Stunde
    Nach Marc Aurelens Büste starr gewendet,
    So hat der größte Preußenheld geendet.

Der Imperator stand vor Moskaus Flammen
Und schaute noch einmal zurück ins Feuer,
Und seine Grenadiere ließ er rammen
Den Totensteig nach Frankreich, kein Bereuer.
Er rafft bei Waterloo sein Ich zusammen,
Und hat sein letztes Pulverabenteuer.
    Und auf Sankt Helena benagt sein Herz
    Ein Rattenvölkchen ohne Scham und Schmerz.

Den Punier sah ich auf dem Elefanten
Im roten Byssusturm, und eine Binde
Verdeckt das eine Auge dem Giganten,
Er streckt den Arm im scharfen Alpenwinde
Und zeigt den Weg, den lichtblau überspannten,
Der Himmel lächelt seinem Sonntagskinde.
    Er öffnet seinen Onyxring zum Trunke;
    Verfolgt, gequält erlischt ein Götterfunke.

Der Narr fiel aus dem Menuett indessen
In einen Marsch und wilden Kriegeston,
Nun muß sich Hannibal mit Cäsar messen
Und Friedrich boxen mit Napoleon;
Und, interessant, mit Fauststoß und Finessen
Sucht jeder Lorbeer sich und Ruhmeslohn.
    Der Brandenburger schlug den Franzenstreiter,
    Die andern stritten unentschieden weiter.

Da schrie dem Clown ich zu: Halt ein, du Schuft!
Und riß das Pfeifchen ihm von seinen Zähnen,
Und hieb den Kerl, und alles schwand in Duft,
Erschöpft muß ich mich an ein Bäumchen lehnen.
Und um mich her wards still wie Grab und Gruft,
Und nichts mehr ließ mich jenes Spukbild wähnen,
    Nur schwang den Krückstock noch der alte Fritze:
    Laß er hinfüro solche Schelmenwitze.

            Ist denn Liebe ein Verbrechen,
            Darf man denn nicht zärtlich sein.
            (Straußischer Walzer.)

In dieses Lebens ewigen Kümmernissen
Weiß ich ein Schloß, Chateau d'amour genannt.
Von Rosen rings umsponnen und Narzissen,
Träumt dort ein einsam stilles Wunderland,
Das durch den Tag läßt seine Fahnen hissen,
Scharlachen brennend wie der Herzensbrand.
    Nachts, wenn im blauen Schein die Berge hängen,
    Horcht Eros kichernd auf den Marmorgängen.

Und schöne Paare wandeln auf den Steigen,
Von Amoretten selig überflogen,
Versteckte Lauben üben sich im Schweigen,
Von kleinen Silberwolken überzogen,
Ein Schumannlied von hundert sanften Geigen
Klingt aus den Sälen durch die Säulenbogen.
    Und schwarzverhüllte, schwergeschiente Ritter
    Behüten streng des Gartens goldne Gitter.

Und sie hieß Fite.
                Wie die Flocken toben
Und durch die Fenster rauh um Einlaß bitten.
Ein neues Scheitholz, in die Glut geschoben,
Giebt ihnen Antwort: das wird nicht gelitten,
Und auch dem Sturme, der mit seiner groben
Gewalt klopft, hat den Eingang abgeschnitten
    Behaglichkeit, die meinen Poggfredräumen
    Die weichen Polster rückt zu Trost und Träumen.

Und sie hieß Fite.
                Kleines liebes Tier,
Wo kommst du jetzt nach dreißig Jahren her,
Und grade du aus aller Frauenzier,
Und grade du aus jenem Blütenmeer,
Das ich durchschwamm als loser Kavalier
Mit leichtem Sinn und glühendem Begehr.
    Was willst du? Noch einmal dein Köpfchen lehnen
    An meine Brust? Ich soll mich nach dir sehnen?

Und sie hieß Fite.
                Einfacher hat nie
Sich je so ein Affairchen eingeleitet.
Ich ritt durch meiner Felder Poesie,
Da steht sie mit der Sichel und bereitet
Der Garben segenschöne Symmetrie,
Und meine Augen haben sie begleitet.
    Kennt sie mich schon? ich hab' sie kaum beachtet,
    Doch blitzschnell hat mein Herz nach ihr geschmachtet.

Was ist die Liebe? Ists ein heller Stern,
Der plötzlich leuchtet, den wir nie geschaut?
Ists ein Erinnern, das unnennbar fern
Uns däucht und nun in unsre Seele taut,
Das aus der Schale springt und einen Kern
Uns zeigt, so voller Süße, daß uns graut?
    Ich bin dir gut. Du bist mir gut. Nichts weiter,
    Dann klimmen wir hinauf die Himmelsleiter.

Was ist die Liebe? Nur ein schnelles Zittern,
Nur Hast und Drang zu flammendem Erguß,
Aus kurzem Wetterleuchten zu Gewittern
Führt uns den schwülen Weg ein heißer Kuß,
Es kracht im Forst, und unter tausend Splittern
Sprießt auf ein neues Reis, das ist der Schluß.
    Was darauf folgt, ist, mäkelt oder lacht,
    Philisterpunsch und der Gewohnheit Macht.

Was ist die Liebe? Komm, mein Weib, komm her,
Lehn' dich an mich, ich lehne mich an dich
Und küsse dir die Hände, die ein Heer
Von Lebensgreueln wandten fürsorglich,
Mein bester Freund, mein Trost, wenn kummerschwer
Verzweiflung schrie, Verzagtheit mich beschlich.
    Im Sterben noch, bin ich zum Tode krank,
    Lall' ich mein letztes Wort, für dich, hab' Dank.

Was ist die Liebe? Nur ein einziger Tag,
Gelebt, gejauchzt, gerast im Paradiese,
Dann folgen Bitternisse Schlag auf Schlag,
Wir seufzen: Hätt' ich doch... o, die Be-^tise.
Und was mir einer auch entgegnen mag,
Mir wird chokant die immer gleiche Lise.
    Abwechslung muß ich haben. Und die Treue?
    Kenn' ich denn kein Gewissen, keine Reue?

Und sie hieß Fite.
                Kleine Reizende,
Wie zart du warst, wie blaß und schmal die Backen,
Am selben Abend schlugst du, ranke Fee,
Die dünnen Ärmchen schon um meinen Nacken,
Wir standen mondbeglänzt im Wiesenklee,
Komm an mein Herz, du sollst dich nicht mehr placken.
    Als hättest du nach mir dich lang gesehnt,
    Hast du dein Haupt an meine Brust gelehnt.

Und weißt du noch, wenn wir inkognito
Im fremden Städtchen, fremden Dorf uns schwangen
Im Liebeswalzer, lebenstoll und froh,
Und wie wir beide durch die Wälder sangen,
Uns ganz, uns, uns, in dulci jubilo,
In Poggfred hielt ich heimlich dich gefangen,
    Und mich, den Schließer, legtest du in Ketten,
    Mein Arrestant schlief aus in Seidenbetten.

Seltsam Geschöpfchen, stehst du neben mir
Mit deinem kalten Blick, mit deinem Leuchten
Plötzlich aus dunklem Schleier, bist du hier?
Dein Eigensinn, dein Trotz, die oft mich scheuchten,
Und deine leidenschaftliche Begier,
Dein unheimliches Stummsein, die mir däuchten,
    Als hätte dich ein feiner Stern verbannt,
    In Wut auf unsre Erde dich gesandt.

Entsinn' ich mich, es war ein feuchter Tag,
Ein Frühlingstag, die Nachtigallen schlugen,
Du spielst mit meinem Damaskdolche zag,
Wer weiß, wohin dich die Gedanken trugen,
Du hebst dich blitzend, in den Silberschlag
Stößt du zurück ihn, deine Augen lugen
    Schräg, halbgeschlossen wieder, zu mir hin,
    Die Wahnsinnsaugen einer Mörderin.

Dann kam ein schnelles, kindliches Gelächter,
Daß ich entsetzt dir beide Hände hielt,
Als klebte Blut daran: Bist du ein Schlächter,
Was wolltest du, sprich! wer so furchtbar zielt,
Ist alles Lebens, aller Welt Verächter,
Hast du nach meinem Herzen hingeschielt?
    Das Messer? Da! weg! riefst du lachend aus,
    Und klirrend flogs in einen Rosenstrauß.

In eine Vase, drin viel Rosen prangen,
Fiel es hinein; die gelben und die roten
Verbargen gütig, liebreich, und verschlangen
Den gierigen, fürchterlichen Todesboten,
Und hielten ihn wie einen Schatz gefangen,
Und ihre Feuerfarbenprächte lohten.
    Du hingst an meinem Hals, wie eine Quelle
    Hört' ich das Schluchzen einer leisen Welle.

Zum Rennen war nach Hamburg ich gefahren,
Und hatte, wie sich das von selbst versteht,
Ein Spiel nachher gemacht mit Turfhusaren.
Ich war, es bleibt mir einmal ein Magnet,
Nicht grade hingegangen, um zu sparen.
Und daß ichs immer sage, ganz diskret,
    Nur fünfzig Pfennig nannt' ich spät mein Eigen,
    Doch mein Bankier weiß morgen schon zu schweigen.

So ging ich denn, der Sekt war mir bekommen,
Erleichtert und begeistert durch die Gassen,
Und hatte kreuz und quer den Weg genommen,
Und sah, es schlug drei Uhr, im ersten blassen
Frühschein die Stadt der lieben, guten, frommen
Beefsteakvertilger und gefüllten Kassen.
    So gegen vier, in jeder Metropole,
    Giebts wirklich Straßen ohne Saum und Sohle.

Es ragten über Brücken fort und Flete,
Phantastisch, in geheimnisvollem Dämmer,
Neubauten, fern, wie Zinnen, Minarete,
Dumpf klang von weitem her Fabrikgehämmer,
Es heult der Schiffssirenen Dampftrompete,
Im Osten lagern rote Wolkenlämmer,
    Ein kurzer, scharfer Wind kam mit der Sonne,
    Nun ist ein guter Cognac eine Wonne.

Wo find ich diese Wonne? Dann ein Bad,
Und dann zu Bett, und bis zur Mittagszeit
Geschlafen. Bin ich müde, ach. Es hat
Das Jeu mich doch erregt. Wie liegt so weit
Poggfred, und liegt so nah. Hätt' ich die Stadt
Erst hinter mir, daß Fite mir verzeiht.
    Glück in der Liebe, und ich bin verliebt,
    Unglück im Spiel. Was? Träum' ich schon?
                    Wer giebt.

Und ich trat in ein Nachtkaffee hinein.
Was alles sitzt in solchem Nachtkaffee!
Louis, Verkommne, elend und gemein.
Schauspieler, ein verkappter Attache.
Der Tingeltangelsänger Stutzenstein,
Herr Lieutenant, in Civil, von Igelsee,
    Und Gott weiß wer, wie nenn' ich Stand und Namen,
    Natürlich bunter Reihe mit den Damen.

An einem Marmortischchen neben mir
Saß ein pompöses Weib mit einem Herrn,
Siebziger sicher, der als Busenzier
Von Fabelwert trug einen Nadelstern.
Und dieses alte, öde Ekeltier,
Trank mit ihr eine Flasche Haute Sauterne.
    Er hatte sich das Weib gekauft, nun ja,
    Die Welt ist einmal so: Pecunia.

Ein Sirup- oder Seifenmakler, denk' ich,
Mag er gewesen sein; was gings mich an.
Doch meine volle Aufmerksamkeit schenk' ich
Der Nachbarin, auch sie wirft dann und wann
Mir einen Blitz, und immer kühner senk' ich
Die Augen in der ihren Zauberbann.
    Es wurden uns, was soll ihr noch der Greis,
    Die Herzen und die Seelen siedeheiß.

Ein Lächeln, ganz verstohlen hin und her,
Verständnisvoller werden unsre Blicke,
Sie kokettiert mit mir, sie will noch mehr,
Sie bindet fester um mich ihre Stricke
Und sendet Fragen mir ein ganzes Heer,
Daß lebhaft Antwort ich hinüberschicke.
    Und zappelnd steck' ich in der Liebesmasche,
    Und hatte fünfzig Pfennig in der Tasche.

Ein letzter Wink. Sie hatten sich erhoben.
Ich hinterher. Wie? Ist ein Streit entstanden?
Etwas vergessen? Kehrt er um nach oben?
Und eh Sekunden zu Minuten schwanden,
Wars schon gethan. Nun laß den Alten toben.
Wo werden wir in unsrer Droschke landen?
    Ein wenig kleinlaut mußt' ich ihr gestehn,
    Daß ich zufällig nicht mit Geld versehn.

Sie lacht mich aus. Und wie zwei wilde Flüsse,
Die endlich, endlich in einanderfließen,
Sind unsre Wonnen, unsre Glutergüsse,
Ein tosend wirbelndes Zusammengießen.
Halt ein, ich sticke. Küssen folgen Küsse,
Himmel und Hölle balgen ums Genießen.
    Indessen rumpelt unser Kab gemächlich,
    Worauf ich reime: Das ist nebensächlich.

Ah, ihre Wohnung! Alle Wetter auch!
Mit Pantherfellen, Bronzen und Liqueur.
Von heißer Platte zieht ein feiner Rauch
Aus Räucherwerk und Kiss me quick-Odeur.
Und was zum Leben, was zum Luxus Brauch,
Besitzt in Überfluß mein joli coeur.
    Und hier im Hause meiner Favorite
    Vergaß ich Poggfred und - die kleine Fite.

Vergaß sie eine ganze Woche lang,
Und wachte auf im Venusberg und wollte,
Die Stirn mir reibend, fort aus diesem Zwang,
Doch Aphrodite litt es nicht und grollte,
Daß kläglich jeder Fluchtversuch mißlang,
Und wenn ich flehte, weinte sie und schmollte.
    Ich raffte mich zusammen: Morgen früh
    Zum Geier, hört es auf, dies Impromptü.

Am letzten Abend, als ichs ihr gestand,
Daß ich durchaus nach meiner Heimat müßte,
Sah sie mich fragend, forschend an und schwand,
Und kam zurück von einer fernen Küste,
Aus Gräcia, und trug ein reich Gewand,
Weingrün, das herrlich Hals ihr schloß und Büste.
    Von Perlen war ihr schwarzes Haar durchflochten,
    Mein Herz, mein Hirn und meine Adern kochten.

Sie ließ sich nieder auf ein Tabouret,
Ich sinke zu ihr, ihre Knie umschlungen,
Sie streichelt mir den Scheitel, sagt Valet,
Ganz leise, und ich habe schwer gerungen.
Da seh ich, in Gedanken? ein Stilet,
Und bin vom Boden jählings aufgesprungen.
    Und in der Thür, was starrst du, Aphrodite,
    Steht fahl und totenbleich die kleine Fite.

Sie trug ihr einfach bäuerlich Gewand,
Wie damals ich sie fand am Herbstesthor;
Den Dolch, von meinem Schreibtisch, in der Hand,
Hält sie gesenkt, dann tritt sie langsam vor
Und sieht mich an, ich steh wie festgebannt,
Schaut lächelnd, wie zu Sternen, irr empor.
    Ein Tigersatz, die Griechin schwimmt im Blute,
    Das alles blitzt im Zehntel der Minute.

Und sie hieß Fite.
                Wie die Flocken toben
Und durch die Fenster rauh um Einlaß bitten,
Ein neues Scheitholz, in die Glut geschoben,
Giebt ihnen Antwort: das wird nicht gelitten.
Und auch dem Sturme, der mit seiner groben
Gewalt klopft, hat den Zutritt abgeschnitten
    Behaglichkeit, die meinen Poggfredräumen
    Die weichen Polster rückt zu Trost und Träumen.

Und sie hieß Fite.
                Kleines liebes Tier,
Wo kommst du jetzt nach dreißig Jahren her,
Und grade du aus aller Frauenzier,
Und grade du aus jenem Blütenmeer,
Das ich durchschwamm als loser Kavalier
Mit leichtem Sinn und glühendem Begehr.
    Was willst du? Noch einmal dein Köpfchen lehnen
    An meine Brust? Ich soll mich nach dir sehnen.

Ein warmer, wundervoller Tag der Ruth.
Ich streife, schußgehalten mein Gewehr,
Im Drillichkittel, mit dem Jägerhut,
Durch Stoppeln und an Knicken hin und her,
Durch Kohl, Kartoffeln, wies der Jäger thut,
Macht er im Herbst den Hühnern viel Beschwer.
    Die Hitze wächst, die Beute wuchs zu Hauf,
    Ich suche wieder plane Wege auf.

Und mich begleitet bald ein Frauenzimmer,
Ein Weib in togaähnlichem Gewand,
Stumm, ernst; wie sticht sie ab vom Sonnenschimmer!
Und ich geriet nicht außer Rand und Band,
Erschrak auch nicht, ihr Trugbild stört mich nimmer,
Bis ich den Blick von ihr doch mißlich fand.
    Wer bist du, fragt' ich, bist du die Meduse,
    Willst mich versteinern? Ich bin deine Muse.

Und langsam sprach sie weiter: Höre mich,
Was schiltst du unaufhörlich meine Güte,
Und machst mich lächerlich, besinne dich,
Was soll dein Spott, ich brach dir manche Blüte
Vom grünen Baum, und gab dir schwesterlich,
Und sah, wie deine Stirn begeistert glühte.
    Und du, du schmähst mich eine alte Vettel,
    Verlachst, wie du es nennst, den dummen Bettel.

Und sie verschwand, verworren blieb ich halten,
Gern hätt' ich um Verzeihung sie gebeten,
Doch wars zu spät, und meine Bitten schallten
In leere Luft, und hätt' ich auch Trompeten
Ihr nachgeschickt, Gekrach aus Wolkenspalten,
Sie wäre nicht zu mir zurückgetreten.
    Und ich ging sinnend fürder meinen Pfad,
    Bleib, Muse du, mein lieber Kamerad.

Zwar Dichter sein in Deutschland, ist die Zeit
Nicht längst vorbei, wer hört und liest Gesänge?
Wer ist zu stiller Einkehr noch bereit
In unsrer Tage wüstem Schlachtgedränge.
Und doch, wer sehnt sich nicht hinaus, weit, weit
In eines sanften Thales schattige Gänge,
    Einmal der Weltenwirrnis zu entlaufen
    Und sich im Dichtergarten zu verschnaufen.

Mir fällt aus Byron eben ein: "Denn wißt,
Den goldnen Fittich zarter Poesie
Zerzaust der Erde Sturm und Zank und Zwist;
Ein Paradiesesvogel, schmachtet sie,
Heimwärts zu fliehn; sie findet schnell und trist,
Ihr Flügel stimmt zum Erdennebel nie."
    So singt in Dantes Weissagung Mylord,
    Und noch von ihm ein andres hohes Wort:

"Poeten giebts, die ihre Poesie
Niemals geschrieben, und vielleicht die besten;
Sie fühlten, liebten, und dann starben sie,
Sie liehn der Welt ihr Feuer nicht, sie preßten
Den Gott zurück, von dem die Seele schrie,
Und kehrten lorbeerlos zu sternigen Vesten.
    Das sang der Britte, von Apoll gefangen,
    Und mir ist die Zigarre ausgegangen.

Nun brennt sie wieder. Und ich schreite zu
Und freue mich des letzten Sommertages,
Der Felder, die, in Wochenbettesruh,
Der Frucht befreit, befreit des Sichelschlages,
Die Scheunen füllten; und in Schrank und Truh
Liegt blinkerblank der Segen des Ertrages.
    Der Bauer fährt ins Städtchen und kauft ein,
    Der Thaler wandert und der Kassenschein.

Die Staare fliegen schon in ganzen Scharen
Und fallen in die hohen Pappelbäume,
Wies immer war seit undenklichen Jahren,
Eh sie nach Süden in das Land der Träume
Sich wegbegeben. Und bei seinen Laren
Schlurft sehnsuchtsvoll der Mensch durch seine Räume.
    An jener Esche mit den roten Beeren
    Wer steht da, will er Almosen begehren?

Zurück, Diana, her zu mir! Sie wittert,
Sie sträubt ihr Nackenhaar, was hast du, Alte?
Was ist dir denn geheuer nicht? Sie zittert,
Als wenn der Vogel Rock sie fest umkrallte.
Nun wieder giebt sie wütend Hals; verbittert
Die Furcht sie? Her zu mir! Warte doch, halte!
    Willst du wohl her, zum Donnerwetter auch,
    Seit wann wird Ungehorsam bei dir Brauch?

Wie sonderbar! wie sieht der Wicht denn aus?
Der hat ja Flügel, hat sie festgenommen,
Nun, Lieber, sprich, wo bist denn du zu Haus,
Aus welchem Fabelland bist du gekommen?
Wer schickte dich, verlangst du Streit und Strauß,
Gehörst du zu den Engeln, zu den Frommen?
    Er glotzt mich an; genug nun des Gestarrs.
    Ich bin Bewohner, hub er an, des Mars.

Nicht heute kam ich an, und auch nicht lange
Bin ich auf Erden, etwa hundert Wochen,
Doch wird mir hier noch immer angst und bange,
Und meine Schläfen, meine Adern pochen,
Und mir ist schwül auf diesem seltnen Gange,
Ich magre ab, denn keiner kann mir kochen.
    Mich sandte her, was mußt du mich erinnern,
    Mich sandte der Minister her des Innern.

Wie? Was? fragt' ich, habt ihr Minister oben?
Doch möcht' zuerst ich wissen, die Kanäle,
Die wir dort sehen, sind sie ausgehoben
Von Menschen, wollt' ich sagen, welche Seele,
Nein, wollt' ich sagen, sind Geschöpfe droben,
Die sie auswerfen, oder ists Geschäle
    Natürlicher Gewalt, durch Windeswut,
    Durch Feuerschrecken oder Ebb' und Flut?

Und er: Den Ländern fehlt Bewässerung,
Wir leiden Wassermangel, und so haben,
Das ist Kommando bei uns, alt und jung,
Das ganze Volk, bald hier, bald dort zu graben,
Je nach der zeitigen Erledigung,
Doch merkst du nicht, ich will blos Rübchen schaben.
    Mit einem Wort, wollt' ich dir das beschreiben,
    Wo würde deine arme Denkkraft bleiben.

Nur das: Wir graben nicht, das sind Maschinen
So wunderbarer Konstruktion, daß du
Sofort den Taumel krigtest, wenn von ihnen
Ich dir erzählen wollt', laß mich in Ruh,
Ich kann dir mit Erklärung doch nicht dienen,
Du wähntest doch, es sei Theatercoup.
    Im Übrigen, im Allgemeinen, ach,
    Ists wie bei euch: viel Schmerz und Ungemach.

Wir keilen uns, daß uns der Rücken singt,
Wir haben Staatsanwälte, Schuster, Schreiner,
Pedanten, aber alles ist beschwingt,
Geheimrat, Plumpudding und Gravensteiner,
Auch Dichter, die uns aber unbedingt
Mehr sind als euch, denn ihr schätzt Penny a liner
    Entschieden höher; ein Reporterheros
    Ist ja bei euch berühmter als Homeros!

Und eure Gräber? Eine Pulvertonne
Sprengt lustig unsre Toten, simplement.
Nur eine Göttin haben wir, die Sonne,
Die bitten wir bei Auf- und Niedergang:
Send, Mutter, uns, so viel du kannst, an Wonne,
So viel dir möglich, unser Lebelang.
    Und anders auch in unserem Getriebe
    Behandeln wir das Futter und die Liebe.

Die Liebe, nein, wie lächerlich ihr seid,
Wie prüde, ihr betrachtets ja wie Schande
Bei euch im Deutschen Reich, das heißt, verzeiht,
Wohl auch in jedem andern "feinen" Lande;
Die afrikanische Sphinx lag mir zu weit,
Ich hatte keine Zeit nach ihrem Strande.
    Die Liebe auf dem Mars ist nur Natur,
    Uns fehlen Tugendheld und Troubadour.

Doch ich verplaudre mich, ich wollte eben
Zum Fluge, als du kamest, mich bereiten,
In meine schöne Heimat mich begeben,
Wo sich viel Arme mir entgegen breiten,
Wo, magst dus glauben oder nicht, das Leben
Vernünftiger ist als eure Nichtigkeiten,
    Und mehr des Friedens auch, trotz alledem,
    Verwirklicht sich in unserem System.

Du möchtest gar zu gerne einen Blick
In meine Wunderlandschaft thun, nicht wahr?
So beuge nur ein wenig dein Genick,
Sieh meinem Aufstieg nach, dann wirst du klar
Dort meine Ankunft schauen; nur erschrick
Nicht allzusehr. Leb wohl, Herr Erdbarbar.
    Und wieder dann als kleiner roter Fleck,
    Verschrumpft sich dir der Mars zu Himmelsdreck.

Zu Himmelsdreck, pfui, scheußlich. Und es bauschen
Sich seine Flügel, und mit mächtigen Schlägen
Durchfurcht mein Freund die Luft, ich hör' es rauschen.
Empor, durch milde Abendröte schrägen
Sich seine Schwingen, Rosenwölkchen lauschen
Auf seiner Fahrt; aus Herrlichkeitsgehägen
    Taucht nun die Nacht, er segelt ruhig weiter,
    Und Flimmergold umglänzt ihn als Begleiter.

Zornfunkelnd blitzt der Mars; da, nicht zu sagen,
Erweitert sich der Stern, die Sonne gießt
Mit einem Mal ihr Licht aus, läßt es tagen,
Und wie sie so die fremde Welt erschließt,
Seh nackt ich einen schroffen Felsen ragen,
Der meilenhoch aus schwarzen Schlünden schießt
    Und dessen Fläche oben breit sich plattet,
    Von keinem Baum, von keinem Dach beschattet.

Inmitten steht ein kleiner Opferheerd,
Von Quadern aufgesetzt. Sein weißer Rauch
Strebt kerzengrad ins Blau; und schützend wehrt
Als Polizei, das scheint hier Volksgebrauch,
Ein Ungetüm den Zutritt, scharf bespeert
Mit Stacheln rings um Rücken, Bein und Bauch.
    Nun reckts den langen Schlangenhals empor,
    Der sich noch höher als der Qualm verlor.

Das Ungeheuer tutet, und es klingt,
Als bläst ein Nachtwächter ins Horn hinein;
Von überall her flattert, flügelt, springt
Ein Heer mit farbigen Fittichen, groß und klein,
Das munter durch einander schmetterlingt.
Und von Geschöpfen schwirrt der Riesenstein,
    Die emsiglich sich hier zusammen schaarten,
    Neugierig meinen Gönner zu erwarten.

Und richtig, wieder kommt er mir in Sicht,
Schon stemmt er, wie die Vögel thun, die Füße,
Wenn sie sich niederlassen, vor. Da bricht
Der Jubel los, bis die Willkommengrüße
Vertönen in ein mächtiges Gedicht,
In eine Hymne, eine friedenssüße.
    Dann drängt sich das geehrte Publikum
    Begierig um den Reisenden herum.

Und er erzählt. So ists: Wenn Anekdoten
Im Kreise vorträgt einer; alle hören
Andächtig zu, bis beim gelösten Knoten
Der Beifall klatschend tobt in Dankeschören,
Daß Wanst und Zwerchfell zu zerspringen drohten;
Doch läßt sich dadurch nicht der Sprecher stören.
    Was giebt zum Besten nun der Erdverächter,
    Endlos erschallt ein rasendes Gelächter.

Wie bei der Diebslaterne, deren Blende
Sich plötzlich vorschiebt, ists auf einmal dunkel;
Und wieder leuchtet nach der raschen Wende
Das Pünktchen feuerrot im Sterngefunkel.
Vorbei ist mein Geschichtchen und zu Ende,
Im Blattwerk über mir raunt ein Gemunkel:
    Geh mit Diana ruhig jetzt nach Haus,
    Und schlafe tüchtig deine Märchen aus.

Den Heerd erstreb' ich nun mit müden Schritten,
Und das Geheimnis all der tausend Welten
Legt mir die finstern Fragen vor und Bitten,
An wen? wer wird die Leiden einst vergelten,
Die täglich, unaufhörlich wir erlitten,
Die uns um manche schöne Hoffnung prellten,
    Vergelten einst mit ewigen Friedenstagen,
    Mit ewiger Vergessenheit uns schlagen.

Umsonst. Nur positiver Glaube rettet.
Doch ruhig wandle, wer nicht glauben kann,
Den Distelweg, ob auch von Neid umklettet,
Mit edelstem Gemüt, ein ganzer Mann,
Der Pflicht gehorchend, die allein ihn kettet,
Frei, stolz und stark, kein Weichling, kein Tyrann,
    Und thue Gutes, sei der Menschheit Stütze,
    Und meide vornehm Sündenpfuhl und Pfütze.

Ei, wie mir scheint, ich werde höchst moralisch.
Schenkt nicht die Erde so viel Seligkeiten,
Schrieb ich nicht eben etwas theatralisch?
Das macht sich so, wenn sich gewisse Zeiten
Einfinden; werden wir nicht klerikalisch,
Wenn wir auf Mittagshöh? Was, Albernheiten!
    Um Gotteswillen, ich der heilige Anton,
    Nein, lieber Kesselflicker dann in Kanton.

So sei es denn. Ich esse noch und trinke,
Ich bin voll Fröhlichkeit, bin voll Humor,
Und eh in Mystik ich und Deutung sinke,
Komm' ich euch, Freunde, Skaal! das Kelchglas vor.
Da fällt mir ein, ich hasse jede Schminke,
Mir klingt ein altes Lagerlied im Ohr:
    Wie ziehen die Soldaten in den Himmel?
    Täusch' ich mich nicht, auf einem weißen Schimmel.

Wie kommen die Soldaten in den Himmel?
Auf einem weißen Schimmel
Reiten die Soldaten in den Himmel.
Kapitän, Lieutenant,
Fähnrich, Sergeant,
Nimm das Mädel, nimm das Mädel,
Nimm das Mädel bei der Hand,
Soldaten, Kameraden.

Erinnerung lieb' ich nicht, denn ist sie gut,
Fällt uns die Kappe "Schwermut" übers Haupt,
Und ist sie schlecht, gleich tobt uns dann das Blut,
Wir sind der frohen Stimmung schnell beraubt,
Drum bin ich immer sehr auf meiner Hut
Und hab' ihr Eingang selten nur erlaubt.
    Vergessenkönnen heißt die große Kunst,
    Der, der sie kann, erfuhr der Götter Gunst.

Doch läßt Erinnern sich nur schwer vermeiden,
Auf Schritt und Tritt folgt uns der Leichnam nach
Und starrt uns an: sie möchte gerne weiden,
Die dumme Kuh, es werden Bilder wach,
Die oft zudringlich sind und unbescheiden,
Es springt ein Pförtchen im Gehirn, ein Fach.
    So heute Abend, als ich, wie mir schien,
    Unwichtiges verbrannte im Kamin.

Zwei Worte sah zuletzt ich in den Flammen:
"Der Totenaufbau" und "Die zwölf Trakehner".
Die beiden paßten freilich nicht zusammen
Als Fetzen meines Tagebuches; jener
Nicht zu den Hengsten, diese auch verklammen
Sich mit dem Hügel nicht, sind nicht Entlehner.
    Der Reim hat mich geniert, das ist genant;
    Verzeihung, diese Strophe klingt mechant.

Der Reim darf nie genieren. Wie die Katze
Zierlich mit dem gefangnen Mäuschen spielt,
Spielt auch der Dichter bei der Reimeshatze.
Besser wohl der Vergleich: er schiebt und zielt
Wie die Maschine auf dem Bahnhofsplatze
Rangiert, bis alles seinen Stand erhielt.
    Nur schade, daß die meisten unrein reimen,
    Dann allerdings läßt leicht der Text sich leimen.

Daß dies zuweilen etwas schwierig ist,
Darf niemand merken, das ist erste Regel.
Es wäre der Poet ein schlechter Christ,
Der nicht sein Boot mit gutgestelltem Segel
Gewandt läßt fahren wie ein Seeobrist
Und nicht sein Auge hat auf Riff und Pegel.
    Besonders soll bei Stanzen und Ottaven
    Der Leser freundlich im Fauteuil einschlafen.

Doch revenons a` nos moutons, das sind
Der Hügel und die Hengste. Diese zwo,
Als ich sie brennen sah, zeigten geschwind
Mir meine Villa, nicht in Mexiko,
Sondern am Elbestrand, wohin der Wind
Mich früher vielmal fegte subito.
    Ich liebte, liebe nämlich unser Hamburg,
    Betracht' es fast, als wär es meine Stammburg.

Sie kostet hunderttausend Mark Courant,
Liegt auf der Landstraße nach Blankenese,
Zu Anfang Flottbeker Chaussee genannt;
Sie heißt, wer weiß weshalb, cottage Therese,
Das war in Frühlingszeit vorweg mein Land,
Als ich mich noch nicht schund mit Exegese.
    O Hamburg mein, besonders o Charles Neale!
    Denn Ale und Porter trink' ich gern und viel.

In Frühlingszeit! und dann die Metropole!
Ich meine Frühling hier dahin verstanden,
Daß ich noch jung war, mit der Tänzersohle,
Mit Blut im Herzen, wo noch Wellen branden,
Wellen der Leidenschaft, die Aureole,
Der Glutglanz meines Leichtsinns noch vorhanden.
    Wohin die Zeiten, wo sind sie geblieben,
    Als ich zugleich konnt' zwanzig Madels lieben.

Ich übertreibe, denn die Prüderie,
Der wir in Deutschland immer sehr gewogen,
Kann ich vertragen nimmermehr und nie.
Die schärfsten Pfeile sendet dann mein Bogen,
Denn häufig ist es nur Bigotterie,
Von falschen Ziehsystemen großgezogen.
    Das nebenbei, nun komm' ich zu den Hengsten,
    Auch mir hat die Geduld gewährt am längsten.

Nah meiner Villa wohnt als Nachbarin,
"Gleich links," Geheimerätin Regentropf,
Kommerzienrätin, das liegt schon darin,
Faßt einer Handelsstädten an den Schopf,
Kommerz, Kommerz, o golden ist dein Sinn!
Sogar die Tugend trägt dort goldnen Zopf;
    Die Reiter selbst, wir wollen das beherzen,
    Wie Falke schreibt, sind "reitende Kommerzen."

Ich weiß nicht, was soll stets das Übelreden
Auf einen reichen Kaufherrn; hat der nicht
Durch seine Klugheit Speicher voll und Rheden,
Durch seine Vorsicht, durch sein Suchelicht?
Wenn vom Aequator schwimmt sein Schiff nach Schweden
Und wohin noch, ist das nicht ein Gedicht?
    Und wenn er klüger ist als andre, nun,
    Wir würden alle ja dasselbe thun.

Die Frau Geheimerat war überreich,
Sie hatte hundertneunzig Millionen.
Doch ihr Gemüt blieb vornehm, gütig, weich,
Trotz des Gefolgs von Grafen und Baronen.
Sie gab und schenkte ohne Rangvergleich
Fortwährend ungezählte Doppelkronen.
    Ein kleiner Schalk im Nacken stand ihr gut,
    Witz, Laune und ein leichter Übermut.

Nur eines konnte nicht die alte Dame
Vertragen: daß ich bessre Pferde schirrte.
Das deuchte, seltsamlich, ihr eine Blame,
Daß mein Geläut am Schlitten heller klirrte,
Daß meiner Wagen, sie versank im Grame,
Lack, Eleganz den Pöbel mehr verwirrte.
    Wir nannten sie die Königin der Chaussee,
    Das wußten sie und ihre Hauslivree.

Wir haben alle unsre schwachen Seiten,
Wir Menschen; dieser sammelt Münzen, Pflanzen,
Der Meißner Porzellan, der Nichtigkeiten,
Ein andrer sieht gern Balleteusen tanzen,
Ein andrer wieder muß die Welt durchschreiten,
Und der hat nur Gefühl für seinen Ranzen,
    Der ist Cellist, und der Gedichteschreiber,
    Ich liebe Grogk von Rum, Hasard und Weiber.

Nun kommts: Ich saß, es war noch früh am Morgen,
An einem heitern Sommertag im Parke,
Und hatte wahrlich keine weitern Sorgen,
Als daß mich stört des Gärtners Kratzeharke,
Ich brauchte nicht zu hungern, nicht zu borgen,
Da sah ich auf der Elbe eine Barke,
    Ein winzig Boot; ein Mann aus Oevelgönne
    Ruderts, der Finkenwerder gern gewönne.

Kein Schiff ist sichtbar sonst, nur er allein
Zieht durch den Strom; das war wohl jener Alte,
Der einst den Römern fuhr durch Dämmerschein
Im Einbaum zu, mit tiefer Kummerfalte,
Ein Seher seines Volkes, aus den Reihn
Der Edlen ausgewählt, zum Aufenthalte
    Bei ihnen, um sie flehend zu bestimmen,
    Den heiligen Fluß nicht feindlich zu durchschwimmen.

Und eine Stille wars, da schoß ein Satan,
Torpedodampfer, lautlos durch die Flut,
Von Wilhelmshafen kam der Leviathan,
Trotz seiner Kleinheit Leviathansbrut.
Er kam im allerschwärzesten Ornat an,
Bezaubernd sah er aus in seiner Wut.
    Unheimlich wars, es schien kein Kopf an Bord,
    So pfeilt er durch das gelbe Wasser fort.

Wie war der Friedensmorgen wundervoll,
Die Nachtigallen schlugen wie verrückt,
Da dacht' ich, ob ich heut nicht fahren soll
Den Sechserzug, die Hellfüchse, geschmückt
Wie Pferd und Muschelwagen von Apoll,
Wenn er den Himmel durch sein Pli entzückt.
    Bei Jakob will ich frühstücken. Holla,
    Anspannen, Zügel her! Hurrah, hurrah!

Um freie Bahn zu haben, muß ein Neger
Aus meiner Dienerschaft vorgallopiren,
Bimbo auf meinem Schimmel Paukenschläger;
Der Mohr, der Gaul, den türkische Flitter zieren,
Sind jedem stets Bewunderungerreger,
Fahr' ich mit all dem bunten Zeug spazieren.
    Ich auf den Bock, die Welt ist mein, nun los!
    Zeus brüllt vor Freude aus dem Wolkenschooß.

O köstlich ists, im langen schlanken Trabe
So durch den Maienhag dahinzuflitzen.
Im Sonnenfunkeln schmollt der Tod am Grabe;
Wenn vierundzwanzig Silberhufe blitzen,
Die adeligen Rosse, Rad und Nabe
Ihn im Vorbei mit Kies und Sand bespritzen,
    Dann wird er böse sich nach mir erkunden,
    Doch lachend bin ich längst schon ihm entschwunden.

Das muß ich nachholen: Sehr aufgestört,
Vernahm ich, sollte Frau Geheimrat sein,
Als sie von meinem neuen Kauf gehört.
Flugs in Trakehnen traf ihr Käufer ein,
Ihr Stallmeister; sie war erzürnt, empört
Und konnte mir den Handel nicht verzeihn.
    Ein Sonderzug bringt bald, kostbare Ware,
    Sechs Dunkelfüchse an, Prachtexemplare.

Bei Jenisch-Park, bei Teufelsbrück geschahs,
Den Vorreiter hat keine Schuld getroffen;
Da raste um die Ecke, ohne Maß,
Von Flottbeck kommend, scharf, in wildem schroffen
Tollkühnen Henkersjagen, Dieu nous grace,
Ein Ablenken war nicht mehr zu erhoffen,
    Der Frau Geheimrat funkelnd Sechsgespann
    In eins mit meinem, wie durch Hexenbann.

Und ein Geschling von Hälsen, Mähnen, Schwänzen,
Das wie das Chaos webert, wogt und ampelt.
Ich seh des einen Fuchses Lefzen glänzen,
Weitauf, der Zähne Schnee, er schlägt, er trampelt;
Ein herrlich Bild, vergebt, ich muß es kränzen;
Und alles zuckt und zappelt, strebt und strampelt.
    Der aufgeputzte Schimmel steht dazwischen
    Steilhoch, wo hell- und dunkel-gelb sich mischen.

Ich spring' zu Boden, eile an den Schlag
Der gnädigen Frau, doch ist sie schon entstiegen.
Sie lächelt wie ein milder Januartag:
"Nur meine Schuld, Baron." Ich: "O, Sie siegen
Ein ander Mal. Nun zu den Hengsten! Plag
Mich Gott!" Sie: "Wie sie jämmerlich daliegen."
    Indessen lag ihr Hoffräulein du jour
    Graziös und ohnmächtig im Sitzvelours.

In dieser heikelen Minute zogen
Grad über uns zwölf Schwäne durch das Blau,
Die Märchenprinzen? die einst fernher flogen,
Ihr Schwesterchen zu holen? Doch zu flau
War ihnen wohl das Hoffräulein; sie bogen,
Sie steuern fort, wohin, wer sagts genau.
    Merkwürdig, schon nach einer kurzen Zeit
    War alles flott, zur Weiterfahrt bereit.

Am Nachmittag besuchte ich die Damen,
Mich zu erkundigen, wie die Angst bekommen.
Die Herrin schien ein wenig noch zu lahmen,
Das Fräulein hatte Hoffmannstrost genommen,
Sie dankten mir für Vorfrag und Examen;
Und wenn auch noch natürlich stark beklommen,
    Bat mich die Rätin doch, sie zu verbinden,
    Mich morgen Abend bei ihr einzufinden.

"Herr Meier bückt sich tief: Ich bin so frei."
Es war Gesellschaft, eine große, volle;
Grossiers und Diplomaten, Maler Klei,
Baronin Obenaus und Gräfin Bolle,
Ein Litteraturprofessor, Doktor Brei,
Den seit elf Jahren die Idee, die tolle,
    Nicht losläßt, einen Dichter auszugraben,
    Fritz Semmelhack, den langweiligsten Knaben

Von anno Tobak; gräßlich, wirklich gräßlich.
Dann Tante Mimi, Herr Assessor Starz,
Die Opernsängerin, sehr alt und häßlich,
Frau Colorat, Herr Pastor Siebenschwarz,
(In Hamburg fehlt der Prediger nie). Unpäßlich
Nur hatte sich gemeldet Bankier Harz.
    Ein General, Premierlieutenant von Blander,
    Für Lieutenants hab' ich bis ans Grab ein Tendre.

Ein Flor von hübschen Mädchen, lauter Rosen,
Und jungen Herrn, natürlich vom Kommerz.
Daß ich ihn nicht vergesse, Rentier Plosen,
Ein Bonvivant, war auch dabei, und Herz,
Der fromme Kaffeemakler. Hannchen Klosen
Verreiste leider gestern, o der Schmerz.
    Und außer diesen waren, Sternenlichter,
    Geladen auch zwei "hehre" teutsche Dichter.

Der eine, mittelgroß, sah einem Jäger
Nicht unähnlich, mit derben Schulterknochen,
Mit blauen Augen; wars ein Pikenträger
Aus Landsknechtszeit? Dem mochte pochen
Der Puls voll Leidenschaft; ein Harfenschläger
Der? hier? nein, niemals hätt' ich das gerochen.
    Er trinkt und tanzt und lacht wie jedermann,
    Und keiner merkt ihm was besondres an.

Der andre war ein Süßling, lang und schlank,
Er dreht sich hin, er dreht sich her, o je,
Die blasse Wangenfarbe macht mich krank;
Und gar die Löwenlocken, jemine!
Er flüstert, Augen hoch: "Ja, Gott sei Dank,"
Und affektiert ein grauenhaftes Weh,
    Und lehnt gedankentief an eine Säule,
    Und düstert wie bei Tag die Kircheneule.

Den Pikenträger überrascht' ich heute,
Grad als er hinter grünen Sammtportieren
Heiß einem Dämchen, der Komteß zur Peute,
Die Hände küßte, und sie wills nicht wehren.
Er bittet: "Darf ich, meine holde Beute,
Wenn sie von mir jetzt ein Gedicht begehren,
    Darf ich, das ich am Morgen schrieb, dann sagen,
    Es ist an dich, ein wildes, darf ichs wagen?"

Und sie: "Du sollst es, Fred, du mußt, ich will,
Es weiß es keiner." Eine Ampel schwankte,
Sie lag in seinen Armen, stumm und still
Vor Seligkeit; ein Palmenbäumchen rankte
Sich um die zwei, aus Eden ein Idyll,
Und eine Nachtigall im Garten dankte.
    Ich schlich mich fort, als hätt' ich Gift gesehn,
    Und blieb erst wieder am Büffete stehn.

Entzückenderes hab' ich nie geschaut,
Als dies Komteßchen, von des Ganges Fluten
Ein Hindumädchen, eine Hindubraut:
Der Himalayaaugen dunkle Gluten;
Wie auf dem Helfant, dem sie sich vertraut.
Die kleinen Hände allerliebst sich sputen,
    Gold, Perlen, Blumen unters Volk zu streuen,
    Um am Gewimmel kindlich sich zu freuen.

Und diese Fürstentochter will ein Dichter,
Der Kerl, wie soll ich sagen, frech blamieren,
Dem ihre Gunst sie schenkte; wär' ich Richter,
Ich ließ ihn peitschen, ließ ihn strangulieren.
Begreif' ihn, wer es kann, den Ehrvernichter,
Taktvoller sind Bekunkas und Baschkieren.
    Doch las ich irgendwo, daß die Poeten
    Aus Wahnsinn und Genie den Teig sich kneten.

Sei ihm verziehn. Am Ende auch, wer ahnt,
Daß, wenn nun sein Poem vom Stapel gleitet,
Daß er grad ihr die Huldigung geplant,
Daß grad für sie er seinen Teppich breitet,
Daß grad für sie er tausend Wimpel fahnt,
Für sie der Hölle Schrecknisse durchschreitet.
    Ich bin ein Gentleman, ich weiß zu schweigen
    Und stumm mich vorm Geheimnis zu verneigen.

Die Opernsängerin sang majestoso,
Ich glaube eine Arie von Gluck.
Assessor Starz gluckst würdevoll-pomposo
Sein Immerlied: Fern auf der Donaubruck.
Herr Plosen, stets ein bischen spirituoso
Auf Soireen, lallt: Mädel ruck, ruck, ruck;
    Bis Tante Mimi vorschlägt, daß Musik
    Sich jetzt verwandeln soll in Versgequiek.

Der Pikenträger wird zuerst gebeten,
Und er verbeugt sich. Was? Ist das der Jäger,
Wo sind ihm Hirsch und Hasen? Sie verwehten,
Das ist ein veritabler Harfenschläger.
Bescheiden sprach er, ohne Lärmtrompeten,
Nur ganz zuletzt ward er zum Himmelsfeger.
    Und glühend schloß er: "Uns beschützt, bewacht
    Heimlich und huldvoll die herrlichste Nacht!"

Ein Schweigen fror durch die gedrängten Reihen,
Entsetzen packte alle Hörer an.
Der greise General, dem hundert Weihen
Bellona gab, in Ohnmacht fiel der Mann.
Assessor Starz schreit wütend: Das verzeihen
Die Deutschen nie, den Staatsanwalt heran!
    Auf Kanapes, auf Sesseln und auf Stühlen
    Siehst die Geladnen du in Krämpfen wühlen.

Indessen alle schwer nach Atem ringen
Und langsam aus der Lethargie erwachen,
Niest Tante Mimi; ihre Löckchen springen
Vor Aufgeregtheit, sie kennt keinen schwachen
Moment, die Sache soll ihr wohl gelingen.
Deutschland, ruft sie, soll wahrlich nicht verkrachen;
    Heran, heran der andre Strophenbauer!
    Der lag schon wie die Spinne auf der Lauer.

Der Längling tritt hervor, die Hand im "Busen",
Er streicht die Mähne, seine Augen "wallen",
Gleich kommt das Dichter-"e", helft, helft, o Musen!
Im Schwunge läßt er seine Rechte fallen,
Nur einen Reim noch hab' ich: Kellinghusen,
(Einsam sind Haide dort und Buchenhallen).
    Erhaben blickt er, und in süßem Ton
    Beginnt sein Lied der lange Lyrasohn:


Die Linde.

Im Abendwinde
Lispelt die Linde,
Er sitzet bei ihr,
Er tanzet, er springet,
Er wallet, er singet,
O Liebchen, mein' Zier.

Es krächzet der Nachtsturm,
Es kreischet der Wachtturm,
Der Mond scheinet hell.
O Liebchen, es taget,
Was hab' ich gewaget,
Hörst Hundegebell?


Ein Donnersturm bricht los, der Beifall braust,
Das Fahrzeug fährt jetzt wieder in der Richtung;
Wie der Orkan den Eichenbaum zerzaust,
Das böse Wetter droht ihm fast Vernichtung,
So jubelt Alles, lärmt und trinkt und schmaust,
Gerettet ist so Vaterland wie Dichtung.
    Tantchen Mimi gebührt die Ehrenrose,
    Heil ihr, bengalisch Licht, Apotheose.

Wo aber blieb der Jäger, schlich er fort,
Beschämt, geknickt, er muß es tief empfinden.
Wo blieb Komteß, mein Gott, ich fürchte Mord!
Sind beide in der Elbe schon zu finden?
Getrost, sie leben. Noch ein letztes Wort:
Ich sehe sie nach Othmarschen verschwinden,
    Da kenn' ich Wege, heckenstill und gut,
    Wo satt und matt sich küßt verliebtes Blut.

Spring an, mein Roß aus Allessandria
Ein sonderbarer Anfang, ich gestehs.
Wie jeder weiß, ist Freiligrath Papa
Der Zeile. Mein Gesang fängt, ach, ich sehs,
Mit Plagiat an, in absentia
Von Eigenem; o Weh des Dichterwehs,
    Wenn die Vokabeln fehlen und die Reime,
    Doch wächst der Baum auch aus gestohlnem Keime.

Von meinem Fenster, einer Straße zu -
Nein, erst muß ich in Training mich befinden,
Dann läuft die Strophe munter, und in Ruh
Kann Stanze sich an Stanzenschnüre binden.
Auch muß ich vorher noch ein Rendez-vous
Dort unter Linden in den Frühlingswinden
    Abmachen; leider sind wir im Oktober,
    So bleib' ich denn Ottave rime-Tober.

Die Königsstrophe hat sie Lingg genannt,
Und sehr mit Recht, sie schreitet königsstolz.
Es sieht sie nicht zu oft das deutsche Land,
Wenn auch die Herren Müller, Schulz und Scholz
Sie gerne wählen, um zum Lyrikband
Den Stift zu schnitzen aus hochedlem Holz.
    Nur darf zu klinglingling nicht sein die Spende,
    Drum: Trochäus zuweilen bis ans Ende.

Von meinem Fenster eine Straße schau ich -
Nein, noch geht nicht der Versfall wie geschmiert,
Noch immer, glaub' ich, bin zu plump, zu rauh ich,
Und eh mein "Sang" unsterblich mich blamiert,
Versuch' ich, fingerüb' ich, bild' ich, bau' ich,
Bis Alles kombiniert ist, präzisiert.
    Dann soll ein kleines Schlachtbild sich entrollen,
    Bis dahin bitt' ich nicht zu laut zu grollen.

In dreien Kriegen war ich; in Gefechten,
Ich rechne nach, es können fünfzig sein.
Die Ruhmesgöttin sah ich Kränze flechten,
Aus Rosen nicht, aus Eingeweid, Gebein,
Zerschossenem, ich will mit ihr nicht rechten,
Denn großes Ziel verlangt oft grause Pein,
    Bevor es durch des Geistes Macht errungen,
    Durch Lanzenstich und Kolbenstoß erzwungen.

Mein greiser Kaiser Wilhelm, dir Hurrah,
Bei Königgrätz einst küßt' ich dir die Hände.
Dein gütig Herz, wie stand es jedem nah,
Gutes zu thun, daß jeder Hülfe fände.
Dein gütig Herz! säng' ich ihm Gloria,
Ich müßte schreiben ungezählte Bände.
    Zu deinen Siegeskränzen, die mich grüßen,
    Leg' einen Dankeskranz ich dir zu Füßen.

Wenn wir durch frohe Ehrenpforten ziehn,
Durch blattgeschmückte, putzt uns mancher Orden.
Nicht allen ist die Auszeichnung verliehn,
Doch alle haben Tapferkeit beim Morden
Gezeigt, die gleiche: daß die Feinde fliehn;
Auch mir sind einige davon geworden,
    Mit Blut bespritzt, nicht für Diners, Gedichte,
    Warum auch, das ist keine Weltgeschichte.

Für einen Dichter, doch ich schweige lieber,
Sonst käm' ich gar in den Verdacht noch - halt:
Von meinem Fenster blick' ich oft im Fieber,
Im Fieber der Erinnerung. Es knallt;
Auf jener Höhe die Geschützeschieber,
Der Pferde Sturz, Mannschaft hilft aus, es galt.
    Und immer bin ich noch nicht recht in Schuß,
    Ich stanzle weiter. Muse, einen Kuß!

Die Deutschen nennen keinen Dichter Künstler;
Künstler sind Maler, Musiker, Athleten,
Und wäre auch des größten Königs Günstler
Ein Dichter, "schad't nix", Künstler sind vertreten
Im Zirkus, Flohtheater; und ein dümmster
(Der Reim ist falsch) Tenor wird dem Poeten
    Stets vorgezogen. Klagt nicht, eine Zeit
    Kommt auch für euch einst. Atmet auf, bereit.

Und wann, ich frag' euch, kommt einmal die Zeit,
Daß wir, statt eines Leitartikels Oede,
Bleibt mir mit Politik vom Hals, Neuheit
Von einem neuen Dichter hören? Spröde
Erwägt der Redakteur die Nützlichkeit.
Poet, du bist vertagt, verlassen, schnöde
    Wie einer, der in Hamburg wohnt, verloren,
    Wenn, Fluch, er ohne Regenschirm geboren.

Poet, ich würde sagen: Je m'en fiche,
Wenn Hinz und Kunz an dir herum bekehren,
Hineinstäuben mit ihrem Flederwisch.
Laß nicht von jedem Laffen dich belehren,
Sei du du selbst, dein eigen, frech und frisch,
Und laß den Teufel dich die Sache scheeren,
    Wenn sie dir sagen, daß nach Schiller, Byron,
    Und Gott weiß wem, die deutschen Dichter leiern.

Nur gar zu gern ist das ihr Bettelwort,
Wenn sie mit dir nichts anzufangen wissen.
Und schreien die Familienblätter Mord
Vor dir, so laß sie schrein, du kannst sie missen,
Denn die Familienblätter sind verdorrt,
Weil sie Geschlechtslosem die Fahnen hissen.
    Sei stolz, sei frei! schreib Dich, vergiß das nie,
    Und schreibst du Poesie, schreib Poesie!

Zwar vieles Geld kannst du von da erlangen,
Sie zahlen gut, die "Über Land und Meer"
Und wie sie heißen; brauchst nicht mehr zu bangen,
Trägst du nach diesem, jenem heiß Begehr.
Zum Beispiel einen Hummer einzufangen,
Ich rate bei Hans Cölln, ist dann nicht schwer.
    Auch sitz' ich gern am Jungfernstieg bei Kiel
    Mit meinem Holdchen mürrisch im Exil.

Zu Deeke, schlag' ich weiter vor, zu gehn,
Wenn wir auf gründlich liederliche Nacht
Nach Caviar Hunger haben; gegen Zehn
Wird dort ein warmes Plättchen auch gebracht,
Um das sogar die Götter lungernd stehn,
So übt es seine Siegeszaubermacht.
    Charmante Wirtin, liebenswürdiger Wirt,
    Es hat sich oft mein Fuß dahin verirrt.

In Altona, nicht in Altona, wohnt
Herr Deeke, und in seiner Nähe lastet
Sich über unsers Klopstocks Grab und thront
Die Linde, wo gern jeder Fremde rastet,
Der diese Straße kommt; er ist belohnt
Durch heilig Land. Und in der Weste tastet
    Sein Finger nach dem Blei, um zu Papier
    Zu bringen, was die Steine reden hier.

Am Denkmal des berühmten Barden fand ich
Einmal ein hübsches Mädchen stehn, die schrieb
Den Spruch sich ab. Ein irgend etwas band mich,
Sie länger anzuschaun: hab' ich dich lieb?
Und eine schwere Rosenkette wand sich
Sofort um uns, gefangen sitzt der Dieb.
    In Ottensen, im Hause ihrer Tante,
    War sie, so jung sie war, schon Gouvernante.

Wie alle Weiber, wußte sie blitzschnell,
Weils Liebe galt, die Bahn sich frei zu machen.
Wir sahen uns zuerst im Dämmerhell,
Dann hörten uns verschwiegne Wege lachen
Und glücklich sein. Und Amor ist Rebell,
Dreist überrennt er Hindernis und Wachen.
    Wir trafen uns und waren überselig
    In meinen Räumen, jeder Schranke ledig.

Wie las sie vor! Zum ersten Mal im Leben
Versenkt' ich mit Entzücken mich in Goethe,
Wie hat sie Odem jedem Wort gegeben,
Die Sonne schien aus früher Wolkenröte
So "morgenschön". Anmutig sah ich schweben
Der Grazien Schritt zu einer Hirtenflöte.
    Bei solchen litterarischen Genüssen
    Sind Adam, Eva aufgelegt zu Küssen.

Ich nahm zuweilen sie als Pagen mit
Im Knabenanzug; meist in ferne Theile
Der Riesenstadt verliert sich unser Schritt.
Und frischgemut durch vollgedrängte Zeile,
Durch leere Gassen trottet unser Tritt
Ohn' jede Fährnis und besondre Eile.
    Des langweiligen Tages zu genesen,
    Half Leichtsinn uns, das lag in unserm Wesen.

Und eine stürmische Dezembernacht,
Die Luft ist warm und feucht und ungesund,
Die Seuche hat sich hämisch aufgemacht,
Sie nimmt den Sarg in ihren bösen Bund,
Ein Winterwetter und -Gewitter kracht,
Verlassen heult vom Kirchhof her ein Hund,
    Des Windes Harfenspiel treibt seine Hetze
    Durch Telephon- und Telegraphennetze.

Was focht uns an, daß wir in diesen Graus
Hinaus uns wagten, wars nur Übermut,
Wars unbewußter Drang, daß wir das Haus
Verlassen mußten? Her mit Handschuh, Hut,
Und Gutenabend kleine Fledermaus,
Es trieb geheimnisvoll uns unser Blut.
    Und kurz, der nächste Zug führt uns ins Land,
    Wir steigen aus auf Station Unbekannt.

Ein Städtchen nimmt uns auf. Vor einem Gitter
Stehn, uralt, eine Esche, eine Eiche,
Aus einer Schenke dort klingt eine Zither.
Hinein! Wir sind gewillt zu lustigem Streiche,
Hinein! Nur keine Furcht, ich bin dein Ritter,
Der Weg zu dir geht über meine Leiche.
    Wir lachen, und zwei Freunde, Arm in Arm,
    Sind gleich wir mitten unterm Gästeschwarm.

Arbeiter sinds, die hier behaglich trinken,
Verständig ist ihr Reden und Benehmen.
Der dort spielt Skat, der gabelt seinen Schinken,
Und keiner läßt den Abend sich vergrämen.
Der eine, der Musik macht, läßt die flinken
Finger nicht von den Saiten. So bequemen
    Wir uns in diesen Kreis und hören froh
    Bald Tingeltangellied, bald Bolero.

Der Spieler sieht uns unablässig an,
Und einmal nickt er uns vertraulich zu,
Zuweilen lächelt er, was will der Mann,
Sein Auge läßt uns gar nicht mehr in Ruh,
Bis ich die Sache ernstlich übersann,
Am Besten wärs, wir schnallten uns die Schuh.
    Da steht er plötzlich auf, o schlimmer Stern,
    Zeigt auf uns, lacht, und sagt: Kiek, das 's 'n Deern.

Und alles schweigt, und alles stutzt und staunt.
Herr Wirt, die Zeche, bitte. Komm, Dorette.
Der Musikant, gleichmäßig gut gelaunt,
Setzt sich und klimpert eine Chansonette,
Und während ein Getuschel rinnt und raunt,
Entwinden wir uns rasch der lästigen Kette.
    Schon sind wir an der Thür, da stellt uns, bannt
    Ein wüster, finnenübersäter Fant.

Platz da, ruf' ich. Doch frech höhnt er uns an.
Platz da, weg, oder, und schon warnt mein Stock.
Sein Messer blitzt im Nu, und es begann
Der Kampf. Getümmel um uns, und ein Schock
Von Fäusten droht und drängt an uns heran.
Zurück! Es fliegen Krüge, Bank und Bock.
    Da trifft der Stahl, statt mich, den Pagen tötlich;
    Ich weiß nicht, Farben? Schwimmt es schwärzlich, rötlich?

Ich bin alleine, auf dem Gasttisch liegt
Mein Page ausgestreckt mit bleichem Munde,
Liegt zwischen schmutzigen Karten, Würfeln, liegt
Inmitten umgestoßner Gläserrunde,
In Bier und Branntwein und Wurstpellen, liegt
In all dem Schlamm mit unrettbarer Wunde.
    Erloschen ist sein Leben und verloren,
    Und meine Augen wollen sich umfloren.

Die Linke hängt ihr schlaff vom Rande nieder,
Mein rechter Arm hält sie umkrampft, umspannt,
Das Lämpchen trübt auf die erstarrten Lider,
Rock, Weste, Hemd sind aufgerissen, Band
Und Shlips blutig, es schimmern weiß die Glieder,
Die zarten Brüste, weiß wie Marmorwand.
    Der Sturm giebt draußen lärmend, laut ein Fest,
    Mein Kopf liegt auf ihr stummes Herz gepreßt.

Nun keine Störung mehr, endlich Bataille,
Der Tuben Schreckenston. Von meinem Fenster
Auf eine Straße seh' ich, glaubts, auf Taille!
Ein Höhenzug, ein abendglanzbeglänzter,
Wasch' ich den Reim auch aus in meiner Balje?
Von blassen Cirruswölkchen ein bekränzter
    Liegt vor mir, den von mir zwei Meilen trennen,
    Des Heerwegs Bäume sind kaum zu erkennen.

Und die Chaussee weckt mir Erinnerung,
Und jene Bäume werden wieder wach,
Die einst ... Es klopft? Den bring ich auf den Schwung,
Der jetzt mich stört, dem trample ich aufs Dach.
Herein! Ah, du ... und dann ein lustiger Sprung.
Um Gotteswillen, halt, gemach, gemach.
    "Is's wahr?" Sie lacht, wie glänzt der Zähne Schimmer,
    Und Hut und Handschuh fliegen weit ins Zimmer.

Du kommst mir eigentlich recht ungelegen,
"Is's wahr?" sie fällt mir um den Hals geschwind.
Ich bin ja heute ganz auf andern Wegen,
"Is's wahr?" sie küßt mich wie der Wirbelwind.
Ich schreibe Verse, die mich stark erregen,
"Is's wahr?" jetzt heult sie wie ein Waisenkind.
    Was ist zu machen, Schuh wett' ich und Strumpf,
    Die Liebe siegt, die Liebe spielt den Trumpf.

Es wird mir wohl verdacht, daß ich zu viel
Von Liebe rede; bleibt mir hübsch gewogen,
Erzürnt euch denn so sehr das Schäferspiel?
Bald kommt der Leichenwagen angezogen
Und hält vor meiner Thür, ich bin am Ziel,
Die Saite riß, es sprang der Fidelbogen.
    Die Liebe lebe, die mein Carmen preist,
    Ob sie nun Mary oder Mieze heißt.

Der Liebe ziehn wir Maske vor und Schleier,
So treiben wirs, um schamhaft zu bestehn,
Und predigen als Tugendpfandverleiher
Moral sogar; laß dich einmal besehn,
Du holde Heuchlerin: Mord ist, beim Geier,
Fehl jeder Art ein besser Teufelslehn.
    Und doch, graunhaft, in all der Wüstenei,
    Wo blieben ohne dich wir, Heuchelei.

Mit diesem herzigen Spruch ging ich zu Bette
Und hatte einen Traum, der schwer mich plagte.
Als schleppten meine Füße eine Kette,
Zog ich im Zimmer hin und her und klagte,
Die Thür sprang auf, ich hörte eine Mette
Aus einem dunklen Kirchenraum, der ragte
    Im Dämmer säulenhoch; zunächst der Schwelle
    Schlief eine junge Frau der Klosterzelle.

Sie saß in einem seidengrauen Sessel,
Das blasse Haupt lag sanft zurückgebogen,
Oder war sie erlöst der Erdenfessel,
Ich schlich mich hin, zitternd, wie hingesogen,
Und muß durch ein Gebüsch der Heckennessel,
Das sich mir plötzlich hindernd vorgezogen.
    Ich sank zu ihr und weinte still: Vergieb;
    Sie aber schluchzte leis: Ich hab dich lieb.

Und sie erhob sich, und ein blauer Schein
Floß durch die Halle. Langsam schritt sie vor,
Hinweg, und zweier Teckel krumm Gebein
Mit ihr; Gesang quoll rieselnd her vom Chor.
Die Arme breit' ich ihr: Ich bin allein.
Sie aber und die Hunde sind am Tor.
    Und meine Teckel weisen mir die Pracht
    Der treuen Zähne, und ich bin erwacht.

Und nun Trompeten, Trommeln, Schwerterstunden!
Bringt mir den Helm, die Schärpe! Zorn und Zank!
Die Weiber ins Verlies, bis sie die Wunden
Uns waschen. Dank, ihr Himmlischen, habt Dank!
An meines Hengstes Schweif den Feind gebunden!
Heraus die Plempe! An die Fleischerbank!
    Die Dörfer brennen, heulend stürmt die Wut,
    Der Abend stirbt, getaucht in rote Glut.

Nicht will ich quälen lang mit Greuelthaten,
Wie sie der Krieg, der scheußliche, gebiert,
Nicht allzulang will ich im Blute waten.
Saht ihr den Sterbenden? sein Auge stiert,
Wasser! Wasser! Die Sonne will ihn braten.
Ist denn die ganze Welt verroht, vertiert,
    Wird nie des Friedensengels Stab auf Erden
    Der einzige Schlichter allen Streites werden?

Niemals, seit Kain Abel hat erschlagen;
Tief ist der Sinn, den dieser Mord erzählt.
Schlug Brutus Cäsarn, edleres zu wagen?
Neid wars, und Scheelsucht hat ihn wüst gequält.
Ich lese immer wieder mit Behagen,
Was Marc Anton rief, als vor ihm entseelt
    Der göttliche Julius lag, mit launiger Galle:
    Ja, ehrenwerte Menschen sind wir alle!

Nie wird die Herrschsucht ihre Faust ablassen,
Die sie auf andrer Nacken hat gelegt;
Vereinzelt säumt ein Schwärmer durch die Gassen,
Der Liebe predigt, segnet, sänftigt, pflegt,
Und wird verlacht, sie schneiden ihm Grimassen,
Bis sich das Volk mit ihm ans Kreuz bewegt.
    Der Friede ist für Kinder ein Gedicht,
    Werft nur die Waffen nieder, ich thus nicht!

Die große Schlacht gleicht einem Sintflutmeere,
Das wild bewegt ist, einem Götterkampf,
Wie Hagelwetter prasseln Spieß und Speere,
Der Staub vermischt sich mit dem Wolkendampf,
Schild klirrt an Schild, und Wehre blitzt auf Wehre,
Die Erde bebt von Ruf und Roßgestampf.
    Doch nicht der Schlacht gilt heute meine Ode,
    Ich nehm' aus ihr nur eine Episode.

Der Mittag kam. Wir waren vorgedrungen,
So furchtbar klang ein einziger Knall und Schall,
Als hätten lautlos zwei im Sand gerungen,
Lautlos, bis endlich einer kommt zu Fall,
Die Arme um des Gegners Hals geschlungen:
Erdrosselung, Erstickung überall.
    Der General, dem ich am Bügel reite,
    Läßt seinen Gucker gleiten an die Seite:

"Noch immer ist der Hügel nicht besetzt,
Dort lauert auf uns eine Wetterhölle,
Bis wir herangekommen sind, zerfetzt;
Und oben erst verlangen sie die Zölle
Höhnisch von uns. Kartätschen sinds zuletzt.
Und gäbs Lawinen oder Felsgerölle:
    Tambour battant! Was warten wir und zaudern,
    Wir können jetzt nicht über Plato plaudern."

Da plötzlich wimmeln droben Mann und Pferd,
In Emsigkeit wächst Schanze rasch an Schanze,
Die Bäume fallen, und ein Kugelherd
Wird aufgeworfen, Lanze drängt an Lanze,
Kokett stützt sich der Ritter auf sein Schwert:
Beliebt es euch, ich bin bereit zum Tanze.
    Ja, es beliebt; beginnt den Stein zu schmeißen,
    Wir klettern gut und werden euch zerreißen!

Der Abend kam. Die Höhe ist genommen;
Fragt nicht, wie stark, unglaublich der Verlust.
Wir hatten sie, wir haben sie bekommen,
Die Kugel sitzt in manches Kühnen Brust.
Wir sind durch eine See von Blut geschwommen,
Uns selber nicht des Schrecklichen bewußt.
    Ich hob im Sattel mich, ich warf die Hand:
    Der König lebe und mein Vaterland!

Am Tagesende ritt mein General
Mit mir durch Traum und Tod und Schlaf und Leben,
Die Hingemähten ruhten gelb und fahl,
Und zwischen Erd und Wolken sah ich schweben
Die Sterbenden, den Raben bald zum Mahl.
Durch meine Seele zitterte ein Beben.
    Der General blieb ruhig, blieb ein Mann,
    Er lächelte; sah ich erregt ihn an?

An einer Stelle kamen wir vorbei,
Da drückte Leich' auf Leiche, eng geschichtet,
Ein Turm von Leibern, Fetzen, Blei und Brei,
Von Freund und Feind zum Walle rasch verdichtet,
Als Schutzwehr in der Riesenbalgerei,
Vielleicht auch hat der Teufel sie errichtet.
    Spitz lief sie zu wie eine Pyramide,
    Es hätte sich entsetzt selbst der Pelide.

Und ihren Gipfel krönt ein alter Zuave,
Mit langem grauem Bart, mit bunten Litzen
An seiner Jacke. Grimmig hält der Brave
Die Fahne mit der Linken, denn besitzen
Will er sie noch im Tode: Cave, cave,
Zerschmettert sei der Dieb von tausend Blitzen!
    Die Rechte streckt sich, wie ein Flintenlauf,
    Zur Faust geballt, drohend zum Himmel auf.

Die Sonne geht, gleichgültig allem Morden,
Sie siehts auf anderen Planeten auch.
Die Biwacksfeuer flackern; still geworden
Ist rings der Hexensabbath. Dampf und Rauch
Der Brände qualmen; und Hyänenhorden,
Die Plündrer, brechen auf aus Rohr und Strauch.
    Es kommt die Nacht und küßt auf ihrer Runde
    Den letzten Erdenschmerz von mancher Wunde.

Und aus den Wunden sinkt der sanfte Saft
Und sickert durch und feuchtet warm die Erde;
In Wurzelwerk und Fasern wächst die Kraft
Und dehnt sich stark beim nächsten Frühlingswerde,
Und reckt den Weizenhalm zu hohem Schaft,
Und gierig frißt im üppigen Gras die Heerde.
    So wirkt des Menschenblutes teurer Dung
    Und macht den alten Boden frisch und jung.

Und Frühling kommt; er muß, er muß sich zeigen!
Mit seinen Freuden springt er durch die Lande,
Und um den Maibaum flattert froh der Reigen.
Des Erntekindes Stirn im Silberbande
Taucht nächtens hoffnungsheimlich aus dem Schweigen
Der dichtgedrängten Frucht zu sicherm Pfande.
    Ja, Frühling kommt, der Sommer bräunt die Nuß,
    Der Herbst macht reichen Segens den Beschluß.

Dann ziehn vom Feld zur Scheuer volle Wagen,
Der Mähder nimmt, schweißtriefend, seinen Krug
Und gönnt sich einen Schluck; aus offnem Kragen
Trotzt seine freie Brust im Stundenflug.
Und wieder läßt er scharf die Sense schlagen,
Die schwerste Arbeit ist ihm kaum genug.
    Die Ähre fällt, die Garbe steht gebunden,
    Und Kriegsgeheul und Greuel sind verwunden.

O Friede du, mit deinen Seidenschwingen,
Wann spannst du sie von Pol zu Pole aus,
Daß klar ein einzig süßes Engelsingen,
Schalmeibegleitet, tönt durchs Weltenhaus,
Daß schreiend, nach verzweifelt letztem Ringen,
Sich in den Abgrund stürzen Gram und Graus?
    Nun, Götter, frag' ich, was ist euer Plan?
    Ihr schweigt? Und alles wäre, ach, nur Wahn?

Ich schlief mit meinem General, durchfroren
Vom Thau, auf offnem Feld, der Mond schien hell.
Einmal erwacht' ich, meine Augen bohren
Sich in die Schatten ein, da seh ich grell,
Vom Lagerflackerlicht a` jour erkoren,
Den Zuaven auf dem Leichenhochgestell:
    Die Rechte droht, steil wie ein Flintenlauf,
    Zur Faust geballt, grausig zum Himmel auf.


  Detlev von Liliencron . 1844 - 1909






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In Poggfred, Detlev von Liliencron