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Neue Gedichte
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Detlev von Liliencron
Neue Gedichte . 1. Auflage 1893



Einmarsch in die Stadt Pfahlburg?

Tä tätätätä tä,
Bä bäbäbäbä bä.

Was ist denn das?

Tä tätätätä tä,
Bä bäbäbäbä bä.

Tä tätätätä tä.

Ah, die Hörner
Der beiden Nachtwächter.
Sie tuten ab zum Augenauf:
    Hört, ihr Menschen, und laßt euch sagen:
    Die Glocke hat vier geschlagen.

Bä bäbäbäbä bä;
Dieses Getön
Ist das Blöken der Schafe,
Die der Hirt des Städtchens,
Von Stall zu Stall sie sammelnd,
Ins Freie führt.

Auf meinen langen Krummstock gestützt,
Den ich über der Mitte umfasse,
Mit beiden Händen,
Wie einen Speer,
Schau ich hinunter
Ins thaufeuchte Thal,
Das frisch und nebelfrei
Im Sommermorgen glitzert.

Ich mag mich nicht umsehn,
Mir graut.
Hinter mir liegt
Der Marktflecken,
Der mein Aufenthalt werden soll
Für immer,
Wo ich rasch mich mausern will
Zum Spießbürger.

Und die schöne große Welt verlaß ich nun,
Um mich einzukerkern,
Um meinen Geist zu töten,
Um ein Tier zu werden,
Um endlich
In jenen dämmerigen Zustand zu fallen,
Der allein glücklich macht:
Ein selbstzufriedenes Heerdenvieh.
Weg, ihr Leidenschaften,
Weg, mein schneller Herzschlag,
Mein Fieberpuls!

Ich mag mich nicht umsehn,
Mir graut.
Zum Empfange stehn schon
Breit am Thorturm
Die beiden Nachtwächter:
Tä tätätätä tä.

Ich mag mich nicht umsehn,
Mir graut.
Mut!
Ganzes Bataillon - Kehrt!
Und ich schlage die Hand übers Auge:
Dahinein muß ich?
Ein "geregeltes" Leben
Soll ich von jetzt an führen?
Laß mich mal herzählen:
Fünf und siebzig Mark für "Kost und Logis",
Für Zigarren so viel,
Barbier und Waschfrau so viel,
Für "Diverses",
Wie sich die Deutschen auszudrücken pflegen,
So und so viel.
Wär ich geboren mit dem Geldgenie
Des großen Rechners Moltke,
Ich käme wahrhaftig
Mit drei Mark achtzig jährlich aus;
Ihm wärs gelungen.

Nein!
Und ich werfe meinen Stab
Wütend ins Gras,
Wie ein eigensinniger Knabe.
Nein!
Und eine Blutwelle,
Ich fühle sie,
Spült über mein Gesicht.
Dahinein?

Bis neun Uhr Schlaf,
Die Zeitung,
Der Frühschoppen:
Lokalbier mit Gequatsch
Über Politik, über den Nachbarn,
Über Ortsvorkommnisse und - den Nachbarn.
Dann das Mittagessen,
Mit den Witzen der Handlungsreisenden.
Der Liebe enthalt' ich mich,
(Wenns möglich ist,)
Ich werde fett wie ein Kapaun,
Das hat auch seine Vorteile.
Das Nachmittagsschläfchen,
Der Journalzirkel,
Romanzeitung, Gartenlaube
Oder sonstige Herrlichkeiten,
Deutsche Goldschnittlyrik,
Bä bäbäbäbä bä;
Die Kegelpartie,
Dann das Abendbrot,
Mit Lokalbier und Gequatsch
Über Politik, über den Nachbarn,
Über Ortsvorkommnisse und - den Nachbarn.
Zum Schluß die germanische Erzfreude,
Der unvermeidliche, dreimal heilige Skat.
Und dann
Die Zipfelmütze, Schlaf,
Tä tätätätä tä.
Dahinein?
Nein! Kehrt!
Ganzes Bataillon - Front!

Und ich breite meine Arme aus,
Und ich gehe, wie ein Selbstmörder,
Der ins Meer schreitet,
Aufrecht, langsam, stolz
In die Wogen der Welt zurück.
Lieber untergehn
Im Pfuhl der Gesellschaft
Oder im Pfuhle des Zigeunertreibens,
Beide werden schließlich
Gleich langweilig,
Als bei lebendigem Leibe
Verfaulen
Im engwarmen Neste
Des wohlanständigen Philistertums.
Lieber untergehn!

Aber bin ich nicht ein Mann,
Den die Pflicht rettet?
Jeder Mann, jedes Weib
Hat eine Pflicht,
Ob es der Graf von der Luxemburg ist,
Der "all sein Geld verjuckt, juckt, juckt" hat,
Oder der ärmste Tagelöhner,
Der für kärglichen Nebenverdienst,
Nachts, wo die Sumpfohreule zieht,
Hinaus muß auf die stumme Haide,
Um sich Ruten zu schneiden
Zum Besenbinden.
"Was ist deine Pflicht?
Die Forderung des Tages",
Sagt Goethe, der unendliche.

Und jeder kennt diese Forderung,
Denn jeder Tag
Hat seine Plackerei,
Hat sein Ertragenmüssen
Der Neidlinge und Nüchterlinge,
Der Sauertöpfischen und "Sittlichen",
Der Trottel und Trampel,
Der Hämischen!!! und Heimlichen,
Der Commisseelen.
Aber dann,
Nach vollbrachter Pflicht und Plage,
Lebe ich:
Kunstgenuß,
Umgang und Gespräche
Mit meinesgleichen,
Die fröhlichste Tafelrunde,
Die seligste Becherstunde,
Ohne Zwang und Uhrschlag;
Jagdausflüge, Seeausflüge,
Ferne Länder,
Bücher, von mir ausgewählt,
Die erhabne Einsamkeit
Auf meinem Zimmer,
Und - die Liebe.
Unter der riesigen Silberpappel,
Der schon der Herbst die Blätter schüttelt,
Steh ich wieder
Zärtlich Tete-a- Tete
Mit der zierlichen, zarten, seltsamen Fite,
Oder sitze mal wieder
Zwischen Mine und Stine,
Oder tolle umher
Mit der schlanken, feurigen Comteß Öllegaard,
Oder schreibe an Adolfinchen:
    Kleiner reizender Rosenkäfer,
    Ein armer Bauer, ein armer Schäfer
    Schmachtet nach dir, nach deinen Küssen
    Und ähnlichen süßen Pfeffernüssen.
    Eben tauschte für Schafe und Rinder
    Ein Armband er ein für artige Kinder.
    Ich bitte dich, laß ihn nicht länger warten,
    Und bestell' ihn in deinen Blumengarten,
    Wo zwischen Aurikeln mittendrin
    Lacht die kleine Vierländerin.
Na, und wies so geht
Im "Artikel der Liebe".

Leben!
Leben, reiches, großes Leben,
Nimm mich wieder!
Leben ist ein einziges
Treppauf, Treppab, Treppab, Treppauf,
Bis wir mal auf einem Absatz
Tot zusammenbrechen,
Und immer sehn wir
Die obersten Stufen,
Wie bei der Jakobsleiter,
In den Wolken verschwinden,
Die Stufen der Hoffnung,
Die ewig von der Sonne beschienen sind,
Die aus der Himmelsspalte
Sie umstrahlt.
Treppauf, Treppab,
Steigen und Niedergehn,
Und endlich -
Steigen? Niedergehn?


  Detlev von Liliencron . 1844 - 1909






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