Gedichte.eu Impressum    

Gedichte, Lyrik, Poesie

Neue Gedichte
162 Bücher



Detlev von Liliencron
Neue Gedichte . 1. Auflage 1893



Die Heilige Flamme

Der Regen hielt sich fest in runden Wolken
Den ganzen Tag bis hin zur Vesperstunde.
Dann plötzlich, wie aus einem Nest heraus,
Brach von der See ein wüster Windstoß vor,
Und Bö auf Bö fällt über Land und Wasser.
Und wenn die Böen, auf Minuten nur,
Das Meer, den Strand wie Katzen überraschten,
Begleitete sie starker Tropfensturz.
Als Abendtrösterin kroch nicht einmal
Die Sonne vor aus ihrem grauen Dickicht.

In solchem Ungewitter, träumte mir,
Betrat ich einen ungeheuern Kirchhof.
Schon neigte sich der Nachmittag zu Ende.
In einer weiten Halle dieses Kirchhofs
Stand ich allein, umgeben von viel Menschen,
Die Gruppen bildeten, je eine Gruppe
Von Klagenden, von Weinenden, des Grames.
Nach einer kleinen Weile immer wieder
Sprang eine Thür auf, und ein strenger Mann
Rief einen Namen; und es löste sich
Auf seinen Ruf von jenen Gruppen eine,
Und ging ihm zu, ging mit ihm, und verschwand.
Der Saal ward niemals leer, von neuem füllte
Ihn fort und fort eintretendes Gedränge.
Ich wartete, und mußte lange warten,
Bis auch an mich der harte Ruf erscholl.
Und ich erhob mich, um ihm nachzuschreiten.
Ich führte, Wunder, war ich nicht allein?
Am Arme eine junge blasse Frau.
So traten wir zu zweien aus dem Raum
In einen andern, dessen kahle Flächen
Unendlich trostlos unser Herz anstarrten.
Inmitten stand auf nacktem Katafalk
Ein Sarg, bar aller Kränze, jeder Zier.
Nur auf dem schweren Deckel sah ich liegen
Ein silbern Sporenpaar, sonst nichts, sonst nichts.
Doch! noch ein Schild entdeckten meine Augen
Am Fußquerbrett der Truhe, drauf die Worte:
"Lebt wohl, ihr Kinder, die ihr mich geliebet,
Ihr Freunde, die ihr mich geehret habet."

Sehr leise tönt, unsichtbar ist die Orgel,
Das Spiel der Flöten und der Engelsstimme.
Sechs Männer kamen irgendwo hervor,
Sechs langtalarte Träger mit Baretts.
Die nahmen nun den Sarg auf ihre Schultern,
Und feierlich, und Schritt vor Schritt gesetzt,
Zog durch ein Bogenthor der Zug ins Freie,
Wo unwirtlich das Wetter uns umfuhr.

Die junge blasse Frau an meiner Seite,
Hing schluchzend, aufgelöst in Schmerz und Weh,
An meinem Arm. Ihr langer Trauerschleier
Berührte, wenn der Sturm nicht mit ihm spielte,
Den Boden fast; tiefschwarz von Haupt zu Fuß,
Bis aus den Handschuh, hüllt sie das Gewand.
Gleich hinter uns, die Fahne hängen lassend,
Mit stier gesenktem Kopfe stapft ein Windhund,
Ein langbehaartes, braungeflecktes Tier,
Um seinen Hals ein blaues Band geschlungen.
So folgen wir zu drein den sechs Talaren.
Indessen nun den Spruch ich las und las:
"Lebt wohl, ihr Kinder, die ihr mich geliebet,
Ihr Freunde, die ihr mich geehret habet,"
Ließ sich die junge blasse Frau von mir,
Als hätte sie die Augen fest geschlossen,
Als müßte ich sie tragen, vorwärts führen.

Der, dem wir folgten, hatte neunzig Jahre,
Treu seinem Gott, und seinem Heiland treu,
Die Lebensbürde demütig geschleppt.
In seinen Händen hält er eine Rose,
Ich seh' sein Antlitz, seine Hakennase,
Den Gentleman, den Kavalier, den Ritter.
Hab Dank, hab Dank für so viel Lieb und Güte.

Der Tod geht um: Links, rechts, von allen Enden,
Von überall her, her aus andern Hallen,
Begegnen Sarg auf Sarg uns, Sarg auf Sarg,
Mit Bannern der, mit Blumen, Schleifen der,
Der eines Kindes Bett, der eines Greises,
Und der umklammert eine schöne Braut,
Der einen Grafen, einen Dienstmann der,
Der jenen, diesen, und der diese, jene.
Den Ständen und den Altern ohne Wahl
Schien heute hier der letzte Gang beschieden.
Kein Laut aus Menschenmund klang irgendwo,
Nur stumm, in immer gleichgemessnem Tritt,
Schritt, kam ein Zug dem andern in die Quere,
Ein wenig wartend, Alles seine Bahn,
Bis jede Leiche ihre Stätte fand.

Als die drei Handvoll in die Grube flogen,
Erschaute ich ein Nordseeufer plötzlich:
Ein schwefelgelber Streifen hing darüber,
Lang, schmal, drauf lag ein rabenschwarz Gewölk,
Und vor der Mitte dieses gelben Streifens
Erhob ein offner Tempel seine Säulen.
So sah ich ihn: Die schlanken Schafte unten
Scharf durch den schwefelgelben Streifen steigend,
Indes sich oben Sims und Kapitäle
Vom finstern Himmel dämmerig abzeichnen.
Und in dem Tempel lodern jetzt hellhoch
Auf einem Scheiterhaufen mächtige Flammen.

Da schrie mit meiner ganzen Stimme ich:
Reißt mir den Sarg, reißt mir den Sarg herauf,
Ins Feuer dort, ins Feuer bringt ihn dort!
Doch flehend fiel die junge blasse Frau
In mein Gelärme: Lass', o lass' ihn ruhn.

Ich aber starrte angestrengt hinüber:
Verblichen war das gelbe Band, verschwunden,
Und in die dunkle Nacht trieb ihre Lohe
Die keusche Flamme groß und still empor.


  Detlev von Liliencron . 1844 - 1909






Gedicht: Die Heilige Flamme

Expressionisten
Dichter abc


Liliencron
Der Haidegänger
Neue Gedichte
Bunte Beute

Intern
Fehler melden!

Internet
Literatur und Kultur
Autorenseiten
Internet





Partnerlinks: Internet


Gedichte.eu - copyright © 2008 - 2009, camo & pfeiffer

Die Heilige Flamme, Detlev von Liliencron