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Neue Gedichte
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Detlev von Liliencron
Neue Gedichte . 1. Auflage 1893



Der eine Tag im Jahre

Der Puls setzt aus, das Herz will nicht mehr schlagen,
Ein Röcheln geht, ein Rasseln in der Brust,
Das Auge bricht und aus sind Leid und Lust.

Wem hat sein letztes Lächeln wohl gegolten?
Wem galt sein letzter langer finstrer Blick,
Eh ihm der Tod gebrochen das Genick?

Saht ihr es nicht, das Lächeln seines Mundes?
Und hörtets nicht? er rief: Den Hengst, den Hengst!
Kam ihm die Schlacht zurück, vergangen längst?

Unmittelbar, eh ihm die Adern stockten,
Traf sein Gedächtnis noch ein furchtbar Ziel,
Das ihn wie böses Träumen überfiel.

Vor dreißig Jahren, in der gleichen Stunde,
Am gleichen Tag, da nun sein Atem floh,
Ein zwanzigjähriger, war er frisch und froh.

Am Meeresstrande steht er mit der Liebsten,
Sie schauen in die Dämmerung hinaus,
Am Himmel ordnet sich der Sterne Strauß.

Und schweigend horchten sie dem Wellensingen,
Unnennbar Glück zog über beide fort,
Es hielt sie selig wie am Gnadenort.

Und plötzlich naht gradher ein Riemengleichklang,
Fünfzig Matrosen ruderten ein Boot,
Als Steuermann stand hinten, hoch, der Tod.

Er trug ein Licht in der erhobnen Rechten,
Das trug er so, daß rings um ihn im Kreis
Auf dunkler Woge schwamm ein Zitterweiß.

Eh die Trireme sich dem Ufer einigt,
Bog sie in wundervoller Schwenkung ab,
Entfernte sich und schwand im Nebelgrab.

Vor zwanzig Jahren, in der gleichen Stunde,
Am gleichen Tag, da nun sein Atem floh,
Ein dreißigjähriger, war er kriegesfroh.

Im Kampfgewühl umklammert ihn ein Turko,
Er sieht den Tigerzahn gefletscht auf sich,
Und einen Anblick hat er grausentlich:

Ihm streichelte, mit ganz vergnügtem Grinsen,
Der Tod die roten Wangen und den Helm:
Ei, steh doch auf, ich will noch nicht, du Schelm.

Da lag der wüste Afrikaner unten,
Er bohrt ihm fest ins Herz den Würgestahl,
Und ist erlöst und hört das Siegssignal.

Vor Jahren zehn, und in der gleichen Stunde,
Am gleichen Tag, da nun sein Atem floh,
Ein vierzigjähriger, war er nimmer froh.

Auf seinem Tische glitzert ein Revolver.
Hat er die Welt, das Leben so verspielt,
Daß nach dem Mordzeug er mit Lüsten schielt?

Da tritt ein Gentleman durch seine Thüre,
Gekleidet wie das Gigerl aus Groß-Wien,
Und ist ein König doch im Hermelin.

Der legt die Hände hurtig auf die Waffe:
Noch nicht, mein Freund, noch ist nicht reif die Zeit,
Daß ich dich hol' in meine Ständigkeit.

Du Thor, was willst du mir ins Handwerk greifen!
Glaubst du denn nicht, daß andre auch wie du
Mit Macht ersehnen ihre ewige Ruh?

Doch ihr habt nichts zu wollen, bis ich winke;
So lang ertragt, was ihr ertragen müßt,
Bis euch mein Blumenkuß die Augen küßt.


  Detlev von Liliencron . 1844 - 1909






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