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Neue Gedichte
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Detlev von Liliencron
Neue Gedichte . 1. Auflage 1893



Das eine Kleid

Einst irrt' ich arm, allein durch menschenvolle Gassen,
Verzweiflung heizt mein Hirn, mich hat die Welt verlassen.
Es prickelt mir der Schnee im Winde scharf entgegen,
Ich weiß nicht, fiebre ich, und schon auf fernen Wegen,
In einer Vorstadt wars, da bin ich wohl gegangen,
Da knallte mir der Sturm die Peitschen um die Wangen.
Und ich schritt immer zu, schon ward es öd und leerer,
Der Hunger quälte mich, der große Markverzehrer.
Aus einem Steige bog mir zu ein blutjung Mädchen,
Ein dünner Sommerrock umhüllte karg das Kätchen.
Wohin? "Ich weiß es nicht." Häng dich in meine Arme,
Daß deine Brust an mir, mein Herz an dir erwarme.
Sie hing sich in mich ein, und zitternd drängt ihr Köpfchen
An meine Schulter sich, ihr rabenschwarzes Zöpfchen.
Bist elend du? "Ich bins." Dann sind wir Kameraden,
Komm, Mädel, ruhig mit, ich will zu Gast dich laden.
Du siehst mich fragend an? Nur zu, ich schaff' uns beiden
Ein warmes Nachtquartier, du sollst nicht länger leiden.
So zogen wir selband, geschmiegt wie Turteltauben,
Durch wüsten Wintergraus wie durch Akazienlauben.
Die Flocken hörten auf, im Westen lag ein Streifen,
Ein schmaler, bernsteingelb, dem Wolkenberg ein Reifen.
Er lag am Himmelsrand, und klar in seiner Helle,
Phantastisch hoben sich der letzten Häuser Schwelle,
Gezack und Säulengang, Getürm und Tempelzinnen,
Auf einem fremden Stern schien Tag in Nacht zu rinnen.

Kannst du noch weiter fort, ich seh ein Lämpchen flammen,
Wir steuern darauf los, nimm alle Kraft zusammen,
Jetzt sind wir da. He, Wirt! Ein Zimmer gieb uns beiden,
Zufrieden sind wir schon, ists ärmlich und bescheiden.
Und schick' uns bald herauf, was Küch und Keller bieten,
Ich will für Wochen lang mir deine Wohnung mieten.

Als wir am andern Tag aus unserm Fenster blickten,
Sahn wir ein Rebhuhnvolk. Die armen Hühner pickten,
Weil alles weit und breit verschneit mit dicker Decke,
Vor unsrer Gasthofsthür. Und einsam lag die Strecke,
Von jedem Leben fern, von allem Lärm gemieden,
Hier wollen wir das Glück fest ineinander schmieden.

Die Arbeit ging mir gut, ich konnte uns ernähren,
Dem Hunger wenigstens den grimmen Zahn verwehren.
Und einmal bracht' nach Haus' ich Geldes einen Haufen,
Nun, Mädel, sprich mir schnell, was möchtest du dir kaufen?
"I hätt' so gern a Kleid." Natürlich, liebe Kleine.
Sie war für grauen Stoff, der stand ihr wunderfeine.

Und ab und zu der Zeit, in fröhlichem Gedulden,
Erwarb, nach Notbedarf, ich einen Übergulden.
Heut gehn wir ins Konzert, nun gilt es eine Probe,
Was wählst du dir dafür aus deiner Garderobe?
"Ich denk' mein graues Kleid, das wird am besten passen."
So sollst du dich, mein Lieb, in diesem sehen lassen.
Und ins Theater dann, was willst du heute nehmen?
"Ich denk' mein graues Kleid; ich brauch' mich nicht zu schämen."

Und dann ein Frühlingstag, die Sonne spielt im Hagen,
Was ziehst du heute an, was willst du heute tragen?
"Ich denk' mein graues Kleid, das soll mich diesmal zieren;
Das such' ich immer aus, geh' ich mit dir spazieren."
Dazu ein rotes Band, geflochten durch die Flechten,
Ei, Schwarze, Sapperment, 's wird niemand mit dir rechten.
Und so und immer so, forscht' ich bei meinem Mädchen,
Was ziehst du heute an, was wählt mein liebes Kätchen,
Dann gab sie Antwort mir, als thät sie erst sich fragen:
"Ich möchte heute mal, mein graues möcht' ich tragen."


  Detlev von Liliencron . 1844 - 1909






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