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Detlev von Liliencron
Neue Gedichte . 1. Auflage 1893



Bellevue

Ich ritt voran, ich trabte zu
Durch eine schwere Waldesruh,
Und hügelaufwärts ging mein Steg,
Und dick verhangen war mein Weg.
    In Nadelschwarz und Zweigen
    Hing dumpf und stumpf das Schweigen.

Die Stute fängt zu klettern an,
Sie niest und prustet, was sie kann,
Die Flanke fliegt von ihrem Fleiß,
Am Sattelgurte steht der Schweiß.
    Ich hätschle ihr die Mähne,
    Die rotgeflochtnen Strähne.

Es weht ein frischer Wind woher.
Kommt nackter Fels, kommt offnes Meer,
Die Stute wirft die Stirn empor,
Die Nüster zieht, sie spitzt das Ohr.
    Mein Thier, laß ab vom Laufen,
    Nun sollst du dich verschnaufen.

Und rechts und links, Hazard, Husar,
Begleitet mich mein Pointerpaar,
Die Zunge tropft, die Zunge hängt,
Und ihre Fahnen sind gesenkt.
    Auf Jagd und jeder Fährte
    Gesellen, treu bewährte.

Da öffnet plötzlich sich der Wald,
Und eine Brise, kräftig kalt,
Empfängt uns wie Bewillkommsgruß,
Halt an, es stutzen Huf und Fuß:
    Vor mir und meinem Pferde
    Dehnt sich die weite Erde.

Die ganze Erde, klar und nah,
Lag unten ausgebreitet da,
Und dennoch fern, wie Weltenschluß,
Als säh ich sie vom Uranus.
    Vor Grausen und Entzücken
    Will Wahnsinn mich berücken.

Ich schlage schreckhaft Hand auf Hand,
An Hals und Widerrist gebannt,
Die Stute kaut auf Stang' und Zaum,
Und schleudert ungestüm den Schaum.
    Die Pointer ruhn gleich Toten,
    Kopf auf den Vorderpfoten.

Tief unten, tief, im Sonnenlicht,
Seh ich ein himmlisches Gedicht:
Von Pol zu Pol schläft jede Wehr,
Kein einziger schnitzt noch Pfeil und Speer,
    Zu ewigem Völkerfrieden
    Hat alles sich beschieden.

Es dunkelt; Qualm, zuerst ein Hauch,
Schon loht die Flamme aus dem Rauch,
Das Feuer springt von Land zu Land,
Die Wolken röten sich vom Brand,
    Vier böse Rosse stampfen,
    Und alle Länder dampfen.

Ich hörs herauf, die Balgerei
Und wüstes Parlamentsgeschrei;
Der ruft, ich hab' alleine Recht,
Ich bin der Herr, du bist mein Knecht,
    Der andre brüllt dawider
    Und stößt ihn wütend nieder.

Zuweilen aus dem Kampfgewühl
Ragt einer auf voll Mitgefühl,
Beschwichtigt hier und segnet dort
Und predigt gegen Mars und Mord.
    Ihm wird dafür bescheinigt,
    Er wird zum Dank gesteinigt.

Zuweilen schießt ein Stern herab,
In eines Menschen Brust hinab;
Ob durch Verstand, ob durch sein Schwert,
Zuerst verlacht, dann gottverehrt,
    Führt das Genie die Menge,
    Des Lebens Schlachtgedränge.

Zuweilen schießt ein Stern herab,
In eines Menschen Brust hinab:
Ein Dichter, der der Zukunft zollt,
Ein mächtiger Künstler gräbt sein Gold,
    Zahllos sind ihm die Feinde,
    Klein zählt ihm die Gemeinde.

Ich sah dem großen Trauerspiel
Versteinert zu, bis mirs zuviel,
Nach Liebe zuckt und zagt mein Herz,
Ist alles Neid und Haß und Schmerz?
    Mir wird so weh zu Mute,
    Ich wende meine Stute.

Und reit' auf einen Tempel hin,
Wo nur ein einzig Zellchen drin,
Und sitze ab, und sorge hier
Zuvörderst für mein treu Getier,
    Laß dann den Schritt verschallen
    Sacht in die leeren Hallen.

Und bleibe nun für mich allein,
Einsiedler will ich fürder sein,
Und nichts mehr sehn von dieser Welt,
Wo die Gerechtigkeit zerschellt.
    Es brodelt in den Tiefen,
    Und Gottes Engel schliefen.


  Detlev von Liliencron . 1844 - 1909






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