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Gedichte, Lyrik, Poesie

Worte in Versen VI
162 Bücher



Karl Kraus
Worte in Versen VI . 1. Auflage 1922



Inschriften

Lyrik der Deutschen

Wer kann, ist ihr Mann und nicht einer, der muß,
sie irrten vom Wesen zum Scheine.
Ihr lyrischer Fall war nicht Claudius,
aber Heine.




Er

Er trug ein Haupt, das ragte himmelan,
daß es im Götterkreise wohne.
Und keinem Gotte untertan,
neigt Goethe sich zu einer Fürstenkrone.

Der zu den Müttern sich hinabgewagt,
war auch um Ahnen noch beflissen;
und was in Weimar blieb der Welt versagt,
gab Gotha ihrem Genius zu wissen.

In seinem Geist könnt' Höchstes nur geschehn,
doch mocht's ihn nach dem Allerhöchsten dürsten.
Beethoven ließ er gnädig stehn
und drehte sich devot zu einem Fürsten.

Er war nach oben und nach oben
ein immer strebender Vollender.
Wie war die Welt von Goethes Faust erhoben!
Und er von Gothas Hofkalender.




Der Antichrist

Wie heiter und listig und insgeheim,
wie vielverheißend und frustra!
Und das Ergebnis ist dieser Reim,
denn also versprach Zarathustra.

Welch weise wissender Arzt der Zeit!
Es war ihrer Krankheit Wesen,
daß sie seit damals und bis heut
von ihm nicht konnte genesen.

Welch fröhliche Philosophenart!
Sie spielte mit einer Feder;
ging irre, noch ehe sie irre ward,
und tanzte auf dem Katheder.

Und lachte ohne jeden Humor
ein dionysisches Lachen.
Da konnte der Kant als ein unreiner Tor
sich stumm aus dem Staube machen.

Man lachte sich über den Herrgott schief,
metaphysische Sehnsucht zu stillen.
Ein kategorischer Diminutiv
verlieh uns zur Macht den Willen.

Die Heiligen wurden ausgelacht,
und was sie auch litten und lehrten.
Er hat es dem Unwert leicht gemacht,
die Werte umzuwerten.

An diesem halkyonischen Fest
wird die Welt noch lange kranken.
Die deutsche Literatenpest
hat sie dem Arzt zu verdanken.

Der christliche Gott ist gut genug,
daß er uns von dem Übel erlöse.
Es verhieß uns ein anderer Pfaffenbetrug
ein Jenseits von Gut und Böse.




Ein Satiriker

In einem Buch, wo ers ernst getrieben,
ein wahrhaft teuflischer Spott wohnt.
Da wurden Rezensionen geschmiert,
weil er die "Briefe an Gott" geschrieben.
Doch hat jene findige Post sich blamiert,
indem die Zustellung unterblieben.
Er wußte nicht, wo Gott wohnt.




Literatur

Weil er sich nicht geniert hat,
glaubt er, er sei ein Genie.
Weil er uns nicht amüsiert hat,
hält ers für Poesie.
Weil er einst onaniert hat,
wirds eine Autobiographie.




Expressionismus

Dem, der den Dunst
im Spiele ballt,
wird keine Gestalt,
nur ein Eindruck glücken.
Es ist die Kunst -
daß ihrs nur wißt -:
was drinnen nicht ist,
auch nicht auszudrücken.




Der Journalist

Warum er just diesen Beruf erwählt hat?
Weil er alle andern verfehlt hat.




Der Vielschreiber

Wie schrieb er so viel,
was mir nicht gefiel?
Er schrieb nicht, was ihm einfiel,
das war ja nicht viel,
doch er schrieb, was ihm einfiel,
das war viel und gefiel.
Ist im zwanglosen Stil
nur der Zufall im Spiel
und der Beifall das Ziel,
gibt es viel und nihil.




Heine und die Folgen

Seit dieser Prosa, diesem Buch der Lieder
hats jeder leicht, die Lust der Sprache zu verringern.
Er löste ihr das Mieder,
damit sie an ihren Brüsten fingern.


  Karl Kraus . 1874 - 1936






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