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Worte in Versen V
162 Bücher



Karl Kraus
Worte in Versen V . 1. Auflage 1920



Inschriften

Sprachschöpfung

Denn eben wo Begriffe fehlen,
da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein.
Doch wollt' ich wahrlich nicht zu jenen zählen,
die wesenlos verpflichtet nur dem Schein.
Ich glaub' dem Wort, es weiß schon was es tut;
wenns mit mir gut es meint, so mein' ich's gut.
Ich kann aufs Wort in allen Lagen zählen,
es führt zum Wesen fort mich aus dem Schein,
und stellt es sich zur rechten Zeit mir ein,
so wird auch der Begriff nicht fehlen
und wird sogleich zur Stelle sein.




Zweifel

Am Scheideweg der Worte muß man schwanken,
ob dies da besser oder jenes dort.
Denn der Gedanke hält nicht immer Wort,
jedoch das Wort hält mancherlei Gedanken.




Versäumnis

Da ist mir neulich was widerfahren
und fast wär' es gut mir ausgegangen.
Mir träumte von einem späten Verlangen,
mir träumte, daß ich nach hundert Jahren
punkt drei die Schönste von allen Schönen
zu treffen versprochen und leider versäumt.
Doch als ich den Traum zu Ende geträumt,
da schien mich das Schicksal halb zu versöhnen,
und da ich erwachte, da war's erst zwei
und ich fand, es wird mit der Zeit noch langen!
Doch schon befiel mich ein neues Bangen:
denn ach sie selbst war leider vorbei.




Der Erotiker

Fiel ihm ein Liebesglück in seinen Schoß,
so war er im Erlebnis gar nicht tüchtig;
und nie genoß er es in vollen Zügen,
wenn es gelang, den Gatten zu betrügen.
Der Glückliche, er war ja ahnungslos -
dagegen jener für ihn eifersüchtig.

Oft hat er, wenn sonst alles hätt' geklappt,
die Frau beim Ehebruch mit sich ertappt,
und den Beweis hielt er in seinen Armen.
Hier half kein Leugnen. Da er's selbst gesehn,
so mußte sie, was sie getan, gestehn;
und seine Liebe kannte kein Erbarmen.




Mahnung

Willst vor dir selbst in Ehren du bestehn,
darfst du mit einem Weib zu Gott nicht gehn.

Denk dreist vor jedem heiligen Gesicht:
so scheint es; doch grad diese ist es nicht!

Erspar der Wahrheit allen harten Streit.
Gewahr des Spieles dieser Scheinbarkeit.

Denn dringst du tiefer, geht es abwärts; und
gehst auf den Grund du, schwindet dir der Grund.

Wie deine Seele auch betreut das Haus:
die andere fand anderwärts hinaus.

Und hast in einem Luftschloß du gewohnt,
so war sie längst bei einem Mann im Mond.

Dein Wort vermaß sich; und es blieb ein Schall.
Ein jeder Narr hat seinen Ausnahmsfall.




Der Misogyn

In Leidenschaft und in Wissenschaft,
in Hangen und in Bangen,
in Geistes zweifachem Verhaft
bleibt ihm das Leben gefangen.
Ich aber verdanke dem Weib die Kraft,
über sie emporzugelangen!


  Karl Kraus . 1874 - 1936






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