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Worte in Versen V
162 Bücher



Karl Kraus
Worte in Versen V . 1. Auflage 1920



Apokalypse

Und wieder fiel ein Stern, der Wermuth hieß,
und brannte einer Fackel gleich die Erde
und Wermuth ward der Ströme drittes Teil.
Wild um mich tobt die Zeit im Untergang,
sie töten sich, zum Ausgang zu gelangen:
der aber ist versperrt, so räumen sie
einander weg und immer weniger
verbleiben hier, einander Raum zu machen.
Doch jene andern, von den Strömen her,
die bitter nicht und ohne Trübnis sind,
befruchtend ihre Welt: die Menschen, die
nicht von den Wassern sterben, drängen zu
und werden immer mehr; ihr Antlitz ist
der Menschen Antlitz, doch sie haben Haare
wie Weiberhaare und die Zähne sind
wie die der Löwen und sie haben Schwänze
den Schlangen gleich und Köpfe haben sie,
zu schaden. Und wie Skorpionen haben
sie Macht, zu schaden. Doch es ward geboten,
nicht zu beleidigen das Gras auf Erden,
noch etwas Grünes, keinen Baum, jedoch
die Menschen, welche nicht das Siegel Gottes
an ihren Stirnen haben, die allein.
Die Zahl des Heerzugs ihrer Reiterei
war zweihundert Millionen und ich hörte
die Zahl. Und ihre Panzer feuerrot,
schwarzblau und schwefelfarbig und den Mäulern
brach Feuer, Rauch und Schwefel wild hervor,
und Rasseln wie von ungezählten Wagen
der Rosse, welche in das Schlachtfeld rasen,
zerriß die Luft. Schwarz wie ein Haarsack ward
die Sonne und der ganze Mond wie Blut.
Die Erde bebte, Sterne aber fielen
wie Feigen ab, wenn sie ein Feigenbaum,
vom großen Wind geschüttelt, wirft zur Erde.
Und Hagel ward mit Feuer und Blut gemengt;
und brennend stürzt ein großer Berg ins Meer.
Ein fahles Pferd. Und der drauf saß, hieß: Tod;
die Hölle folgte nach. Getötet ward
das dritte Teil der Menschheit. Vormals sprach sie:
Wer ist dem Tiere gleich? Und wer vermag
mit ihm zu streiten? Denn dem Tiere war
ein Maul gegeben, Lästerung zu reden
und große Dinge, und ihm war die Macht
gegeben, daß es zweiundvierzig Monat
sein Wesen trieb und öffnete das Maul
zu Lästerungen gegen Gottes Namen,
so daß der ganze Erdkreis sich des Tiers
verwunderte. Doch über alle Stämme
und Sprachen und Nationen hat es Macht,
von allen angebetet, deren Namen
im Buch des Lammes nicht geschrieben steht,
das vom Beginn der Welt dem Tod bestimmt ist.
Und war ein andres Tier, das redete
dem Drachen gleich und zwang damit die Menschen,
daß sie das andere Tier anbeten mußten.
Denn große Zeichen tat es und verführte
mit diesen Wunderzeichen und belebte
das Bild des andern Tiers und machte, daß sie
getötet wurden, welche anzubeten
des Tieres Bild sich weigerten, und daß sie
ein Zeichen trugen und daß niemand konnte
verkaufen oder kaufen, ohne daß er
des Tieres Zeichen oder dessen Namen
und dessen Zahl an seiner Stirne trug.
Und hinter ihnen thront die große Hure
und sitzt auf vielen Wassern, allberauschend,
und mit ihr buhlten alle Könige
und alle Untertanen wurden trunken
vom Wein der Wollust. Und die Haut des Tiers,
auf dem sie sitzt, ist ganz rosinfarben,
sie selbst in Purpur angetan und Scharlach,
und ist mit Perlen und mit Edelsteinen
behangen und von Gold ganz übergoldet
und einen goldnen Becher in der Hand
hält sie, voll Greuel und übervoll von Unzucht.
Und trunken von dem Blute aller Heiligen
ist sie; und ihrer mich verwundernd
sah ich sie. Doch sie fährt in die Verdammnis
mit jenem Tier. Und auch das andre Tier,
verführender Prophet der Lüge, wird
bald nachgeworfen in den Feuersee.
Und jeglicher nach seinem Werk gerichtet!
Mein Herz schlägt an das Tor der Ewigkeit,
daß ich Vollendung schaue und der Tod
vorbei sei und kein Leid, kein Schrei und Schmerz
vorhanden mehr und alle Augen schon
von Gott getrocknet und die Nacht vorbei!
Groß in der Sonne steht ein Engel da,
mit großer Stimme ruft er zu den Vögeln,
die durch die Weiten aller Himmel fliegen:
"Kommt, sammelt euch zu Gottes großem Mahl!
Fresset das Fleisch der Könige, der Feldherrn,
das Fleisch der Mächtigen, der Totschläger,
und aller, die das Fleisch der Kreatur
zum Fraß der Raben ausgeworfen haben,
und aller, welche auf den Rossen sitzen,
der Greulichen, der Lügner, freßt ihr Fleisch!" -
Und wieder strömt des Lebens lautrer Strom,
und an den Ufern grünt des Lebens Holz.


  Karl Kraus . 1874 - 1936






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