Gedichte.eu Impressum    

Gedichte, Lyrik, Poesie

Worte in Versen III
162 Bücher



Karl Kraus
Worte in Versen III . 1. Auflage 1918



Inschriften

Bitte an Verehrer

Nicht Ruhm, nur Ruh!
Müßt' ich alle, die über mich schreiben,
auch hören,
so würde nichts bleiben,
was sie verehren.
Und meine Tür blieb' von selber zu.




Sonderbare Gäste

Daß mancher Fant bei mir gesessen,
sollte mir hinterdrein übel bekommen.
Er hat die Weisheit mit dem Löffel gegessen,
den er von meinem Tische genommen.




Die Zwangslage

Wie rächen sich die Zwerge
an den Riesen?
Sie machen sich über die Berge
oder Psychoanalysen.




Den Psychoanalytikern

Was mir vergangen ist,
euch ist es gegenwärtig.
Was mir im Traum befangen ist,
damit werdet ihr fertig.
Mir aber soll's eine Lust sein,
allein zu träumen,
und nachher in eurem Bewußtsein
aufzuräumen!




Die Satire ist wehrlos

Das Ungereimte aus Zeit und Ort
es drängt sich in den Löwenrachen.
Unendlich erliegt dem Reiz das Wort,
sich zu der Welt einen Reim zu machen.




Instanz des Reimes

Zwei Sphären und zwei
beginnen zu zanken,
der Reim ist Gericht.
Zum Klang wird der Schrei,
der Klang zum Gedanken,
der Zank zum Gedicht.




Wie man's anpackt

Durch die treulose Welt zu Schaden zu kommen,
das wird von den meisten Menschen beklagt.
Ich hab' jedes Ding noch beim Wort genommen,
und nie hat es mir seine Hilfe versagt.




Höllenangst

Die Freiheit trug ein teuflisches Verlangen,
der Autor werde nach dem Tode frei.
Er werde sonach von Verlegern gefangen
und mißhandelt in jeder Druckerei.
Lieber die Hölle mit glühenden Zangen
als des Druckfehlerteufels Barbarei!
Zwar die Andern, deren Namen klangen,
hörten nie des verstümmelten Wortes Schrei.
Was mit ihrem Geiste vorgegangen,
war ihnen bei Lebzeit schon einerlei.
Wie werde ich armer Teufel bangen,
sind erst die dreißig Jahr' vorbei!




Warnung des Lesers

Wenn an eurem Horizont mein Wort erscheint -
ahnt ihr denn, was vorhergegangen?
Euch würde nach andrem Klima verlangen.
Ihr meint, der Himmel sei heiter gemeint?
Blitz, Hagel und Wetter!
Titanenkampf mit einer Letter!




Deutsche Literaturgeschichte

In keiner Literaturgeschichte
wirst du meinen Namen finden.
Wie ich die Geschichte mir richte?
Ich lasse sie drucken und binden,
und bringe die Literaturgeschichte
in die Literaturgeschichte.




Dienst der Kunst

Die Kunst, sie diene mir zum Schutz
vor dieses Lebens Qualen.
Da ist die Malerei nicht nutz,
den Leuten was zu malen.
Auch die Musik geht nicht drauf aus,
es ist ihr nicht zu eigen,
um einem gutbesuchten Haus
gehörig heimzugeigen.
Nur mit der Wortkunst halt' ichs drum,
die ist für mich und jeden,
sie hilft, um mit dem Publikum
doch einmal deutsch zu reden.




Der Vorleser

Ich muß sie alle vereinen,
die ich einzeln nicht gelten lasse.
Aus tausend, die jeder was meinen,
mach' ich eine fühlende Masse.
Ob der oder jener mich lobe,
ist für die Wirkung egal.
Schimpft alle in der Gardrobe,
ihr wart mir doch wehrlos im Saal!




Das abgeschaffte Orchester

Musik ist der allgemeine Dunst,
damit die Leute zusammengelangen:
es ist die allerschwerste Kunst,
gleich mit dem Anfang anzufangen.

Damit der mannigfache Verstand
sich zu der Wirkung versammelt spüre,
hat man ihn mit Musik übermannt
und fällt in das Haus mit der Ouvertüre.

Jenen oben war es darum
immer mit solchen Geräuschen lieber.
Fehlt es, hat doch das Publikum
mehr als sie selber Lampenfieber.

Deutscher Stil, dem die Wahrheit beliebt,
will den Erfolg ohne Schwindel gewinnen.
Und seitdem's keine Schauspieler gibt,
ist's eine Kunst, das Spiel zu beginnen.




Die Claque

Die Theaterclaque dient dem guten Zwecke,
daß sie den geweckten Beifall wecke.
Doch kann sie den Beifall auch selber geben,
denn ohne sein Stichwort kann die Bühne nicht leben.
Die Vernunft, die nicht fühlt dieses Wechsels Gewalten,
mag den Wunsch nach Akustik für Eitelkeit halten.
Darum liebt das Berliner Reformerpack
den Kaffee nur als Kaffe und das Theater ohne Claque.




Einem Polyhistor

Zu wenig Verstand muß unterm Fluch
des vielen Wissens wanken.
Ich sehe dich stets mit einem Buch
und nie mit einem Gedanken.




Das Originalgenie

Nie nahm er etwas aus zweiter Hand
und hielt sich bloß an die Originale,
und wo er nur etwas Gutes fand,
dort stahl er es stets zum ersten Male.

Als Knabe, sagt man, war weltvergessen
versunken er gern im Waldesweben.
Da sei er oft an der Quelle gesessen,
und habe sie niemals angegeben.




Der Erotiker

So manche Mutter entließ mit Bangen
- und dem Verführer galten ihre Flüche -
ihre Tochter, die sie lieber versteckte,
in seine erotische Teufelsküche.
Und jede noch ist als perfekte
Köchin daraus hervorgegangen.




Klassiker-Ausgaben

Der neue Glanz im Geistesleben
vermag selbst Klassiker zu retten:
sie werden von jenen herausgegeben,
die sie sonst verklopft hätten.




Die neue Generation

Welcher Empfindungen buntes Gedränge,
sie hören Farben, sie sehen Klänge.
Wo ist denn die Rasse auferzogen,
kein Satz ist gebildet, jeder gebogen.
Sie sind imstand, nach Belieben zu schalten
mit totgeborenen Lebensinhalten.
Das ist ein sonderbares Geschlecht,
sie schmecken falsch, sie riechen nicht recht.
Sie denken nicht und wollen doch nicht lesen.
Das Schreiben ist Selbstbefriedigung.
Sie sind noch jung.
Sie sind noch nicht bei der Zeitung gewesen.




Täuschung

Immer in hellen Haufen,
über Stock und Stein,
sind sie mir nachgelaufen,
ließen mich nicht allein.
Schon glaubt' ich, es wären Weiber,
sie waren es von Natur,
doch vom Berufe Schreiber
und leider auch von Statur.




Der Übermannenden

Ein Weib war sie in allen Banden,
in die der Mann die Weiber schlug,
weil ihm die Klugheit kam abhanden.
Sie war ein Weib und dennoch klug.
Da fühlte sie sich Manns genug
und machte die Gewalt zuschanden
mit ihrem Witz und Weltbetrug.
So hat sie ihren Mann gestanden
und noch ein Schock in einem Zug.




Eifersucht ist immer unberechtigt

finden die Fraun.
Ei, lasset uns schaun.
Entweder ist sie berechtigt oder unberechtigt.
Ist sie unberechtigt,
so ist sie doch nicht berechtigt.
Ist sie aber berechtigt,
so ist sie, ei verflucht, nicht berechtigt.
Traun!
Drum, hätt' ich doch Glück
und erwischte einmal den Augenblick,
wo schon und noch,
ach erwischt' ich ihn doch,
wo sie eben noch grad ist berechtigt!




Der Anstoß

Wenn man die Natur nur ließe,
die sich am Menschen nicht wetzt!
Wenn sich die Moral nicht stieße,
würde sie nicht verletzt.




Die Geschlechter

Ich muß sie erst, wie sie ist, vergessen,
daß ich mich ganz in sie versenke.
Dann stehe ich unter dem Eindruck dessen,
was ich von ihr denke.




Kompliment

Nein, das kann sie nicht verletzen,
ich will sie nach ihrem Verdienst überschätzen!




Begehrlichkeit

Das schafft ein ewiges Bangen,
macht immer wieder betrübt:
so viel von ihr zu verlangen,
als sie von sich selber gibt.




Dank

Nicht viele gibt es, die geben,
gab's einmal solche, die gaben.
Leicht, ohne Frau zu leben.
Schwer, ohne Frau gelebt zu haben.




Grabschrift
für Elisabeth R.

Dein Erdentag war ein Ermatten,
Dein Erdenglück war der Verzicht.
Dein armes Herz erkor den Schatten,
Dein reiches Herz, uns gab es Licht.


  Karl Kraus . 1874 - 1936






Gedicht: Inschriften

Expressionisten
Dichter abc


Dehmel
Worte in Versen I
Worte in Versen II
Worte in Versen III
Worte in Versen IV
Worte in Versen V
Worte in Versen VI

Intern
Fehler melden!

Internet
Literatur und Kultur
Autorenseiten
Internet





Partnerlinks: Internet


Gedichte.eu - copyright © 2008 - 2009, camo & pfeiffer

Inschriften, Karl Kraus