Die große Glocke

Ich mag mich gar nicht an die Zeit gewöhnen.
Ich höre hinter allem, das den Tag bedeutet,
die große Glocke von dem Weltversöhnen
den Klöppel schwingen, der uns Erdnern heimwärts läutet.

Beginnt der Tag mit seinen ersten Lauten:
dem Betglöcklein, dem Riegelschieben an der Haustür unten,
dem Vogelsang im Garten, lauter trauten
und liebgewohnten Tönen: wachen auch die Wunden

des Tagwerks auf. Arbeit ist noch das Beste
am Menschensein. Doch tritt dazwischen zu den alten Sorgen
meist eine neue... Unerlöste Reste
des steten Erdenkampfes schlepp ich in den jungen Morgen.

Wie viele alte Zweifel, neue Fragen,
die selbst des Nachts nicht schlafen, tragen
mein Weh heran, dazu das ungeweinte Menschheitswehe-:
wenn ich nun dies von meiner Warte sehe
und hör' das Suchen nach Erlösung aus den fernsten Zonen
und all den wirren Streit der "Friedensreligionen",

dann kann ich mich nicht an die Zeit gewöhnen.
Ich höre hinter allem Lärmen, das den Tag bedeutet,
die Eine Glocke von dem Weltversöhnen
den Klöppel schwingen, der uns Erdenwandrern heimwärts läutet.


  Karl Ernst Knodt . 1856 - 1917

Expressionisten
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