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Gedichte, Lyrik, Poesie

Buch der Zeit
162 Bücher



Arno Holz
Buch der Zeit . 1. Auflage 1886



Arme Lieder

O daß er käme, jener Fürst der Liebe,
Der von dem Haupt die goldne Krone legt
Und, daß kein Herz verarmt und dürftig bliebe,
Den goldnen Reif zu frommen Münzen prägt,
Der seinen Purpurmantel voll Erbarmen
Zu Windeln theilte für die Brut der Armen!
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Ein schöner Traum! Er wird sich nicht erfüllen,
Doch blickt er schön aus rothem Dämmerlicht.
Es taugt, die Noth der Erde zu verhüllen,
Die Blumenpracht von hundert Lenzen nicht,
Allein so lang noch ird'sche Lenze dauern,
Wird der Poet mit dem Enterbten trauern.
Alfred Meißner.



1.
Meine Nachbarschaft.

Mein Fenster schaut auf einen düstern Hof,
Auf schmutzge Dächer und auf rußge Mauern,
Doch wer wie ich ein Stückchen Philosoph,
Läßt darum sich noch lange nicht bedauern.
Ein wenig Luft, ein wenig Sonnenlicht
Dringt schließlich auch durch seine trüben Scheiben,
Zu hungern und zu frieren brauch ich nicht
Und all mein Thun ist nur ein wenig Schreiben.

Ein wenig Schreiben, wenn ich stundenlang
Mich einlas in die Wunderwelt der Alten,
Bis endlich, endlich es auch mir gelang,
Was ich gefühlt, zum Wohllaut zu gestalten.
Dann fließt es um mich wie ein Heilgenschein
Und mir im Herzen bauen sich Altäre;
So könnt' ich glücklich und zufrieden sein,
Wenn ach, nur meine Nachbarschaft nicht wäre!

Kein Schwärmer ist es, der die Flöte liebt
Und auf ihr nur "des Sommers letzte Rose",
Kein Tanzgenie, das ewig Stunden gibt,
Auch kein klavierverrückter Virtuose:
Ein armer Schuster nur, der nächtens flickt,
Wenn längst aufs Dach herab die Sterne scheinen,
Indeß sein Weib daneben sitzt und strickt
Und seine Kinderchen vor Hunger weinen!

O Gott, wie oft nicht schon hat dieser Laut
Mich mitten aus dem tiefsten Schlaf gerüttelt!
Und wenn ich halbwach dann mich umgeschaut,
Hat wild es wie ein Fieber mich geschüttelt.
Des Mädchens Schluchzen und des Knaben Schrei
Und ganz zuletzt des Säuglings leises Wimmern -
Mir war's, als hörte ich dann nebenbei
Drei kleine, kleine schwarze Bettlein zimmern.

Mir war's, als rollte dumpf dann vor das Haus
Der nur zu wohlbekannte Armenwagen
Und jene Bettlein trugen sie hinaus
Und luden sie in seinen düstern Schragen.
Der Kutscher aber nahm noch einen Schluck
Und peitschte fluchend seine magren Schinder
Und übers Pflaster dann ging's Ruck auf Ruck,
Doch ach, noch immer wimmerten die Kinder!

Und immer, immer noch klang's mir im Ohr,
Wenn schon der Morgen durch das Fenster blickte,
Und mir ums Auge hing ein Thränenflor,
Wenn ich dann stumm mein Tagewerk beschickte.
Was half mir nun mein "Stückchen Philosoph"?
In Trümmer fiel, was ich so luftig baute!
Doch that's das Haus nicht, nicht der düstre Hof,
Rein, nur die abgebrochnen Kindeslaute! -

Die Armuth bettelt um ein Stückchen Brot,
Doch herzlos läßt der Reichthum sie verhungern;
Millionen tritt die Goldgier in den Koth,
Und Einen einzigen nur läßt sie lungern.
In seidne Betten wühlt sie ihn hinein,
Wenn er beim Sect sich endlich ausgeplappert,
Indeß beim flackernden Laternenschein
Das bleiche Elend mit den Zähnen klappert.

O Gott, warum dies alles, o warum?
Wie Centnerlast drückt mich die Frage nieder!
In meinen Reimen geht sie heimlich um
Und ächzt und stöhnt durch meine armen Lieder.
Was bleibt mir noch auf diesem Erdenball?
Denn auch die Kunst, längst stieg sie vom Kothurne!
Einst schlug mein Herz wie eine Nachtigall,
Doch ach, nun gleicht es einer Thränenurne!


2.
"Een Boot is noch buten!"

"Ahoi! Klaas Nielsen und Peter Jehann!
Kiekt nach, ob wi noch nich to Mus sind!
Ji hewt doch gesehn den Klabautermann?
Gott Lob, dat wi wedder to Hus sind!"
Die Fischer riefen's und stießen ans Land
Und zogen die Kiele bis hoch auf den Strand,
Denn dumpf an rollten die Fluthen;
Han Jochen aber rechnete nach
Und schüttelte finster sein Haupt und sprach:
"Een Boot is noch buten!"

Und ernster keuchte die braune Schaar
Dem Dorf zu über die Dünen,
Schon grüßten von fern mit zerwehtem Haar
Die Frau'n an den Gräbern der Hünen.
Und "Korl!" hieß es und "Leiw Marie!"
"'T is doch man schön, dat ji wedder hie!"
Dumpf an rollten die Fluthen -
"Un Hinrich, min Hinrich? Wo is denn dee?!"
Und Jochen wies in die brüllende See:
"Een Boot is noch buten!"

Am Ufer dräute der Möwenstein,
Drauf stand ein verrufnes Gemäuer,
Dort schleppten sie Werg und Strandholz hinein
Und gossen Oel in das Feuer.
Das leuchtete weit in die Nacht hinaus
Und sollte rufen: O komm nach Haus!
Dumpf an rollen die Fluthen -
Hier steht Dein Weib in Nacht und Wind
Und jammert laut auf und küßt Dein Kind:
"Een Boot is noch buten!"

Doch die Nacht verrann und die See ward still
Und die Sonne schien in die Flammen,
Da schluchzte die Aermste: "As Gott will!"
Und bewußtlos brach sie zusammen!
Sie trugen sie heim auf schmalem Brett,
Dort liegt sie nun fiebernd im Krankenbett
Und draußen plätschern die Fluthen;
Dort spielt ihr Kind, ihr "lütting Jehann",
Und lallt wie träumend dann und wann:
"Een Boot is noch buten!" -


3.
"So Einer war auch Er!"

Liegt ein Dörflein mitten im Walde,
Ueberdeckt vom Sonnenschein,
Und vor dem letzten Haus an der Halde
Sitzt ein steinalt Mütterlein.
    Sie läßt den Faden gleiten
    Und Spinnrad Spinnrad sein
    Und denkt an die alten Zeiten
    Und nickt und schlummert ein.

Heimlich schleicht sich die Mittagsstille
Durch das flimmernde, grüne Revier.
Alles schläft; selbst Drossel und Grille
Und vorm Pflug der müde Stier.
    Da plötzlich kommt es gezogen
    Blitzend den Wald entlang
    Und vor ihm hergeflogen
    Wie Trommel und Pfeifenklang.

Und in das Lied vom alten Blücher
Jauchzen die Dörfler: "Sie sind da!"
Und die Mädels schwenken die Tücher
Und die Jungens rufen: "Hurrah!"
    Gott schütze die goldnen Saaten,
    Dazu die weite Welt;
    Des Kaisers junge Soldaten
    Ziehn wieder ins grüne Feld!

Sieh, schon schwenken sie um die Halde,
Wo das letzte der Häuschen lacht!
Schon verschwinden die ersten im Walde
Und das Mütterchen ist erwacht.
    Versunken in tiefes Sinnen,
    Wird ihr das Herz so schwer
    Und ihre Thränen rinnen:
    "So Einer war auch Er!"


4.
"Ein Herz, das zersprungen!"

Den Menschen fernab
In Sammt und in Trauer
Liegt einsam ein Grab,
Ein Grab an der Mauer.

Kein Marmorstein deckt
Den sinkenden Hügel,
Doch drüberhin reckt
Ein Baum seine Flügel.

Ein Christuskreuz sieht
Aus blühendem Flieder
Und manchmal auch kniet
Ein Weib davor nieder.

Und gestern, als sacht
Ich vorübergegangen,
Da gab ich drauf Acht,
Was die Vögel dort sangen.

Ich lauschte und sieh,
Da war es die alte,
Die Schmerzmelodie,
Die noch niemals verhallte:

Ein Baum, der verblüht,
Ein Ton, der verklungen,
Ein Stern, der verglüht,
Ein Herz, das zersprungen!


5.
Nachtstück.

    Längst fiel von den Bäumen
    Das letzte Blatt,
    In Schlaf und Träumen
    Liegt nun die Stadt;
    Die Fenster verdunkeln
    Sich Haus an Haus
    Und drüberhin funkeln
    Die Sterne sich aus;
    Kalt weht es vom Strom her,
    Der Eisgang kracht,
    Und drüben vom Dom her
    Dröhnt's Mitternacht.
Ich aber schleppe mich zitternd nach Haus -
Der Nordwind bläst die Laternen aus!

    Was half's, daß ich klagend
    Die Gassen durchlief
    Und mitleidverzagend
    "Hier Rosen!" ausrief?
    "Hier Rosen, o Rosen!
    Wer kauft einen Strauß?"
    Doch die Herren Studiosen
    Lachten mich aus!
    Und keiner, keiner ....
    Daß Gott erbarm!
    O unsereiner
    Ist gar zu arm!
Mir wanken die Kniee, mein Herzblut gerinnt -
O Gott, mein Kind, mein armes Kind!

    In stockdunkler Kammer,
    Verhungert, verthiert!
    Schon packt mich der Jammer:
    "Ach Muttchen, mich friert!
    Ach bitte, bitte
    Ein Stückchen Brot!"
    Mir ist es, als litte
    Ich gleich den Tod!
    Mir ist es, als müßte
    Ich schreien: "Fluch!" -
    O daß ich dich küßte
    Durchs Leichentuch!
Dann wär es vorbei und sie scharrten dich ein
Und ich trüg es allein, o Gott, allein ....!


6.
"Weder Glück noch Stern!"

Er war ein Narr! sprach mitleidslos die Welt,
Ein Träumer! milderte die Nachbarschaft
Und nur sein Herzfreund sprach: Er war ein Dichter!

Vor seinem Krankenlager aber saß
Die bleiche Schwester der Barmherzigkeit
Und blickte sinnend auf ein Blatt Papier,
Das gestern erst der flinke Telegraph,
Mit seinen krausen Zeichen überdeckt,
Und nur mit Mühe konnte sie entziffern:
"Ihr erstes Stück! Ein Sensationserfolg!
Berühmt mit einem Schlag! Wir gratuliren!"
Er aber, dem dies kleine Blatt Papier
Die heißersehnte Botschaft künden sollte:
Glück auf, nun hast du nicht umsonst gelebt -
Er schlief und sah es nicht, denn er war todt.

Der dunkle Winterabend warf sein Licht
Kalt durch die zugefrornen Fensterscheiben
Und spielte zitternd um ein Frauenbild,
Das auf die bleiche Stirn des todten Dulders
Unsäglich schön und mitleidsvoll herabsah.
Darunter aber wand ein welker Kranz
Sich grün um ein vergilbtes Atlasband;
Drauf stand, voreinst von Freundeshand geschrieben,
Das Sprüchlein: Lorbeerbaum und Bettelstab!


  Arno Holz . 1863 - 1929






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