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Der Teppich des Lebens
162 Bücher



Stefan George
Der Teppich des Lebens . 4. Auflage 1908



Ein Knabe der mir von Herbst und Abend sang:

                              An Cyril Meir Scott


I

Sie die in träumen lebten sehen wach
Den abglanz jener pracht die sie verliessen
Um gram und erde · und sie weinen stille
Die stunden füllend mit erinnerung

Ans blaue ufer wo mit sanftem tritt
Goldflügel-kinder wandeln und die müden
Vom kerker eben freien seelen grüssen
Die noch verwirrt die blöden blicke drehn

In dem erstaunend hellen wunderland..
So helft euch aus der wahrheit - mitgefangene!
Es bleibt für euch noch eines lächelns schatten
Wenn euer beider leben auch gebannt

Jezt wieder schmachten muss in grabesluft.
Ein flüchtiger blick in euren gittern zündend
Belebt die hoffnung eurer engen wüste..
Und bleich und plötzlich küsst ein strahl dein haar.


II

Ihr kündigtet dem Gott von einst die liebe -
Nun zeigt er sich mit rachevoller braue:
Ihr nanntet joch mein kostbares gesetz
Ihr lasst mein haus zu beugungen zu stolz.

Neigt ihr euch jezt nicht schmählicherem dienste?
Ermattet er nicht die gewundnen arme
Mehr als die klanges-kette die ihr bracht?
Ruft ihr nach gnade nicht und wacht und weint?

Ja wie wir einst voll demut und verlangen
Uns zu des Heilands blutigen füssen bückten
So knien wir huldigend dem neuen Gott
Und zittern und verzückung wie zuvor

Erhöhen uns doch andere mitgefühle
Verzehrender und weniger verzichtend
Wenn schweres licht des beter-abends sinkt
In gold und purpurscheiben unsres doms.


III

Ich stand im sommer wartend · mit erbleichen
Seh ich nun schon das scharlach-banner wehen
Es winkt dem tanz der ernter mit dem grabe
Mit ungepflückter frucht zerzaust vom sturme.

Nun schwindet mir der sorgenlosen glaube
Nun eil ich in der kargen frist und pflücke
Von dem was blieb und binde laub und blumen
Halbwelke wunder meiner grames-hand.

Die hand mit widmender Verehrung hebt
Beschämt empor dir die verstreuten gaben -
So wenig von erträumter pracht ein zeichen
Wenn auch von mancher seltnen träne leuchtend..

So wenig eine wahl von edelsteinen
Die ich dir vom geschick erobern wollte
Als je die mär von flammen-hass und -liebe
Kund wird durch diese brechend leise stimme.


  Stefan George . 1868 - 1933






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