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Arthur Fitger
Requiem
aeternam dona ei . 1. Auflage 1894
Weisheit
Fürchte die Weisheit nicht; und ob wie im Märchen die Zaub'rin
Immer mit neuer Gestalt sie den Werbenden täuschend erschrecke,
Ob sie als ekles Gewürm durch die Finger dir glitsche, zur Flucht nun
Jäh als ein Vogel sich wende mit plötzlich entfesselten Schwingen,
Ob sie als todtes Gestein die umklammernden Arme dir lähme,
Dich angähn' als ein Sumpf mit pestilenzialischen Düften,
Ob sie als Wasser verrinn', als Feuer dich tödtlich versenge,
Welche Maske sie auch, die Umarmung zu meiden, erwähle,
Halte sie fest; sei stark; sie ergiebt sich der brünstigen Sehnsucht;
Und, die Stirne beperlt von des Kampfs Mühsalen, als Siegspreis
Führst du die Göttliche selbst dir über die bräutliche Schwelle.
Aber sei stark! Weh dir, wenn im Kampfe du schaudernd erlahmtest!
Würgen wird dich das Gewürm, der enteilende Vogel dich höhnen,
Quetschen wird dich der Stein, die Woge, die Gluth dich verschlingen
Und in dem mod'rigen Dunst des Sumpfes gehst du zu Grunde!
Besser wär' es, dich hätte die Mutter niemals geboren!
Prüfe dich, eh du den Kampf auf Tod und Leben beginnest.
Und bedenke noch das: die Göttliche wird dir ein andres,
Ach, ganz andres Gesicht dir entschleiern, als du gehofft hast.
Und in ihrer Umarmung versinkt dir die Erde mit Allem,
Was sie an Träumen von Glück, an schmeichelnden Schatten getragen.
Sehnst du dich aber nach ihr dennoch - ein Gott sei dir gnädig!
Arthur
Fitger . 1840 - 1909
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