Greis und Jüngling

Das Kreuz hast du der Schulter aufgeheftet,
Bereit zur Fahrt nach des Erlösers Grab,
Und eine Eschenlanze, stark geschäftet,
Ist deines dorn'gen Weges Wanderstab;
Und jetzt zum Abschied, eh' vom Vaterhause
Hinweg dich führt der Gottesstreiter Heer,
Nahst du dich meiner waldverborg'nen Klause;
Des Siedlers Segenswunsch ist dein Begehr.
Ich schau' dich an: du gleichst dem Jünglingsbilde,
Dem Engel Michael auf deinem Schilde.

Du senkst dein lockig Haupt, des eignen Wertes,
Der eignen, stillen Hoheit unbewußt,
Und wie die Klinge deines guten Schwertes
Sich in der Scheide birgt, so in der Brust
Birgt sich, vor jedem Menschenblick verschlossen,
Dein makelloser, junger Feuergeist;
Kaum daß im Kreise lärmender Genossen
Ein karges Wort die inn're Glut beweist;
Doch hell in deines Auges Flammenscheine
Loht sie empor in jungfräulicher Reine.

Du glaubst noch an der Wahrheit lichte Sterne,
Weil wahr und lauter noch dein Busen fühlt,
Weil in des Herzens unverdorb'nem Kerne
Noch nicht das Gift des Zweifels schleichend wühlt;
Mit freud'gem Mut in offnen Kampfes Ringen,
Mit angespannter Kraft und stätem Fleiß
Wähnst du, vom Glück die Palme zu erzwingen,
Redlicher Mühe schönen Siegespreis;
Und hoffst, derweil dein Wille hart wie Eichen,
Des Lebens höchstes Ziel sei zu erreichen.

Und ich, vom Sturm des Lebens umgetrieben,
Und heimlich angenagt von Sünd' und Schuld,
Von Wunsch und Reue wechselnd aufgerieben,
Und murrend spät gebändigt zur Geduld,
Ich soll die Hände segnend dir erheben,
Dir, der noch Gottes reine Züge trägt?
Vor deiner Majestät muß ich erbeben,
Andächtig fühlt mein Herz sich tief erregt;
Laß mich zu Füßen dir - nicht darfst du's wehren -
Den heil'gen Geist in deinem Bild verehren.


  Arthur Fitger . 1840 - 1909

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