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Arthur Fitger 
 
Fahrendes
Volk . 3. Auflage (vermutlich) 1890 
 
 
 
Die blaue Blume 
Ich schritt durch Waldeseinsamkeit 
In warmer Mittagsstunde; 
Wie Schlummer ruht' es weit und breit 
Ueber dem moosigen Grunde; 
Kaum daß den dunklen Blätterwuchs 
Ein Sonnenpfeil durchzielte, 
Wo vor dem Höhlenbau der Fuchs 
Mit seinen Jungen spielte. 
 
Vom Blitzstrahl hingewettert lag 
Im Felsenschlund die Eiche, 
Wie im granitnen Sarkophag 
Die mächt'ge Hünenleiche. 
Doch wo des Stammes Höhlung klafft, 
Im braunen Moderstaube 
Wuchs eine Blume märchenhaft 
Mit leuchtend grünem Laube. 
 
Den schwanken, leicht bewegten Stiel 
Wiegte der Hauch der Lüfte, 
Und gold'ne Bienen kreisten viel 
Und schwelgten im Gedüfte; 
Des Kelches tiefes Dunkelblau 
Erglüht' in feuchtem Thauen, 
Gleichwie das Aug' der schönsten Frau 
Bezaubernd anzuschauen. 
 
Und wer die blaue Blume pflückt, 
Gewinnt das Reich der Feyen, 
Und ihre Fürstin hochbeglückt 
Wird ihn zum König weihen; 
Sie wiegt an ihrer weißen Brust 
Sein Haupt in süßem Sinnen, 
Und all' des Lebens Staub und Wust 
Verscheucht ihr Kuß von hinnen. 
 
Die Elfen, die im Mondenschein 
Den Ringelreihen tanzen, 
Das Zwerggeschlecht, die Wichtelein 
Sind seine lustigen Schranzen; 
Sie singen und sagen wunderbar 
Vom fernen Weltgetriebe, 
Und ihm entschwindet Jahr um Jahr 
Im Wonnerausch der Liebe. 
 
O Seligkeit, im grünen Wald 
Verträumt dahinzugehen, 
Als eines Märchens Truggestalt 
Am Ende selbst verwehen! 
Der Blume brennender Wohlgeruch 
Weckt mir ein sehnend Schmachten, 
Schon will der süße Zauberspruch 
Die Seele mir umnachten; 
 
Schon hebt die Hand sich mit Begier, 
Zu brechen die schöne Blüte; - 
Da fährt ein eisig Grauen mir 
Durch's innerste Gemüte. 
O, dreifach sel'ge Leidenschaft, 
Im Erdenkampf zu ringen! 
Und mit des Lebens bester Kraft 
Des Lebens Preis erzwingen!
 
 
 
 
Arthur
Fitger . 1840 - 1909 
 
 
  
 
 
 
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